Qualitative und quantitative Forschung
Tags: literatur, qualitative
Kategorie Promotion | 2 Kommentare »
Wunderbar kann ich nur sagen! Martin hat in seinem Kommentar auf mein letztes Post eine wichtige Problematik im Rahmen der Software Engineering Forschung angesprochen. Hier zunächst noch einmal sein Kommentar und dann drunter gleich mal meine Antwort:
Mich würde interessieren, ob die Forscher auch mit den Arbeiten der “Österreichischen Schule der Nationalökonomie” vertraut sind. Insbesondere natürlich mit ihren Ausarbeitungen zur Wissenschaftstheorie in den Sozialwissenschaften. Hierzu z.B. die Arbeit von H.H. Hoppe “Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung” (http://www.mises.de/texte/Hoppe/KausalKritik/index.html), in der er (wenn ich es richtig verstanden habe, ich habe vor, mich da irgenwann nocheinmal durchzuarbeiten, da ich es noch nicht ganz begriffen habe) die Gewinnung von Regeln über das menschliche Handeln durch empirische Forschung verneint, da diese den Aspekt, dass der Mensch lernen kann, ignoriert.
So beobachtet die empirische Sozialforschung z.B. bei mehreren Versuchen, dass Menschen in einer Gruppe bei bestimmten Ereignissen bestimmte Handlungen durchführen und schlußfolgert dann, dass es eine funktionale Beziehung zwischen Ereignis und Handlung gibt und stellen diese als Handlungsregel (Wenn Ereignis X dann Handlung Y) auf.
Dies ignoriert jedoch, dass Menschen lernen können (z.B. eben durch die gemachte Studie) und ihr Verhalten verändern. Nun können sie auf das Ereignis völlig anders reagieren.
Die empirische Forschung setzt das Konstanzprinzip voraus und eignet sich hervorragend für die Naturwissenschaften, nicht jedoch für die Sozialwissenschaften, da das Wissen der Menschen eben nicht konstant (und nicht vorhersehbar) ist.
Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass die empirische Sozialforschung in der historischen Betrachtung, also in der Rekonstruktion menschlichen Handelns ihre Berechtigung hat. Nur eben nicht – zumindest nach Hoppe – zur Findung von allgemein gültigen Handlungsregeln.
Das geht in die Richtung des Themas unserer letzen, von mir nicht vortgesetzten E-Mail Diskussion, zu der ich erst noch weitere Erkenntnisse sammeln muss. Eine davon sei an dieser Stelle nun kurz angeführt. Wenn dies natürlich den erwähnten Forschern bekannt ist und sie sich zu dieser Thematik entsprecht geäußert haben, wäre ich auf ein Verweis zu entsprechenden Arbeiten dankbar. (Das hört sich angriffslustiger an, als es gemeint ist. :-))
Ich kann die Frage natürlich nicht für das Fraunhofer IESE beantworten. Wir müssten die Leute dort schon selbst fragen, ob sie sich damit auseinander gesetzt haben. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann tue ich das auch mal, aber das kann dauern.
Du brauchst für die Diskussion über den Sinn empirischer Forschung nicht zu Debatten in der Volkswirtschaftslehre greifen (das wäre nämlich nur Sekundärliteratur), sondern ich empfehle dir zum Beispiel die Auseinandersetzungen der Philosophen Adorno und Popper im Positivismusstreit der 60er Jahre. Das ist ein guter Ansatzpunkt sich mit der Thematik zu beschäftigen, denn viele andere Arbeiten in anderen Wissenschaften (Volkswirtschaftslehre, Software Engineering, Kybernetik, etc.) bauen letztendlich darauf auf.
Worum geht der Streit also? Die Kritiker der Empirie gehen davon aus, dass wir durch Experimente keine Erkenntnisse erlangen können, da sich der Untersucher niemals vollständig aus dem Experiment entfernen kann. Dies hast du ja oben in deinem Beispiel selber kurz skizziert und es ist allgemein als Hawthorne-Effekt in die Wissenschaftstheorie eingegangen. Wenn man aber keine Erkenntnisse erlangen kann, dann macht es auch logischerweise keinen Sinn überhaupt Experimente zu machen. Folgerichtig solltest du auch nicht versuchen dich als Forscher aus der Untersuchung zu entfernen, sondern du solltest über deinen Einfluss reflektieren und ihn nicht verschweigen. Anstatt also den Forscher als negativen Störfaktor zu sehen, wird er als bewusstes wissenschaftliches Instrument eingesetzt.
Selbst für die Mathematik musste man in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erkennen, dass die Mathematik an sich nicht vollständig beweisbar sein kann. Mit dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz beendete der Mathematiker Gödel damals die Traumvorstellung, die Mathematik im Rahmen des Hilbertprogramm vollständig mit Beweisen abzusichern.
Hat aber Forschung überhaupt einen Sinn, wenn man keine Erkenntnisse erlangen kann? Selbst wenn die Forschung keine genauen Erkenntnisse liefern kann, so kann sie doch zumindest typische Lösungen und Verhaltensmuster aufzeigen. Genau das hab ich auch versucht in meiner Masterarbeit über Verbesserungen des Softwareentwicklungsprozesses zu machen. Ich habe dort den Standpunkt eingenommen, dass ich keine Erkenntnisse erlangen kann und ich habe mich deshalb qualitativer Forschungsmethoden bedient. Nun kann man sicher über die Arbeit urteilen wie man will, aber für mich haben sich doch intensive Einblicke ergeben.
Doch zurück zu deiner Frage hinsichtlich qualitativer Forschung im Software Engineering: Es sieht sehr dünn aus auf diesem Bereich. Es gibt praktisch nur eine sehr kleine Gemeinde von Forschern, die sich eigentlich auch alle recht gut gegenseitig kennen. Ich hatte dies ja schon mal in meiner Zusammenfassung zur SE2007 in Hamburg kurz angedeutet. Dort wurde auf der gesamten Konferenz genau ein qualitatives Paper präsentiert und dies hat gleich kontroverse Diskussionen ausgelöst.
Wenn man die Geschichte des Software Engineerings betrachtet, so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die quantitativen Methoden im Fordergrund stehen. Das Software Engineering ist gerade mal vor knapp 40 Jahren als Teilgebiet der Informatik entstanden. Häufig war es lediglich ein kleiner Zweig der Informatik und auch heute noch wird das Software Engineering häufig nur als Angewandte Informatik gelehrt. Die Informatik selber ist auch noch jung und ist aus der Mathematik hervorgegangen. Anfangs diente die Informatik lediglich als Disziplin, um numerische Probleme der Mathematik effizient zu lösen. Auch heute noch findet man die Informatik meist als Lehrstuhl an einer mathematischen Fakultät. Ein weiterer Einflussfaktor für das Software Engineering sind die Ingenieurswissenschaften allgemein. Deshalb auch das Wort Engineering. Es wird gerne der Vergleich vom Hausbau und der Softwarekonstruktion bemüht, auch wenn dieser Vergleich hinkt. Typische Vertreter dieser Art des Software Engineerings sind die TU München um Prof. Bode und Prof. Broy sowie die Firma sd&m, die ja letztendlich aus dem gleichen Lehrstuhl teilweise hervorgegangen ist. An solchen Instituten steht noch immer die mathematische Fundierung im Fordergrund, was man auch immer schön an den Beiträgen der TU München im GI Informatik Spektrum sehen kann.
Erst mit dem Aufkommen der Wirtschaftsinformatik wurde überhaupt ein Bezug zu den Sozialwissenschaften und ihren Forschungsmethoden hergestellt. Je nach Fakultät, an der die Wirtschaftsinformatik angesiedelt ist, werden die beiden Eltern unterschiedlich stark betont. Trotzdem ist der Effekt relativ gering in Bezug auf die verwendeten Forschungsmethoden, da in einem normalen Studium primär betriebswirtschaftliche Fächer wie Buchführung und Produktionswirtschaft gelehrt werden, weniger aber Forschungsmethoden oder sogar Seminare zu den philosophischen Grundlagen der einzelnen Disziplinen.
Was bleibt also? Ich persönlich empfinde die empirische Software Engineering Forschung als einen großen Schritt vorwärts, weil sie den Fokus weg von einer rein mathematischen Betrachtung legt. Auch ist unsere Branche sehr von Weisheiten und Gurus geprägt, deren Aussagen meist nie überprüft werden. So konnte in zahlreichen Studien der letzten Jahre gezeigt werden, dass nicht alle Praktiken im Rahmen des Extreme Programming sinnvoll sind und wirklich zu einer höheren Produktivität führen. Die qualitative Forschung hat es wesentlich schwerer. Das ist nicht nur so im Software Engineering, sondern auch allgemein. Man braucht nur mal einen Blick auf die Debatten zur Sinnkrise der Sozial- und Geisteswisschaften zu werfen. Dies ist meiner Meinung aber ein gesellschaftliches Problem, da einfach Effizienzsteigerung, ständiger Wettkampf, technologische Überlegenheit, usw. höher bewertet werden als die Umstände, unter denen dies geleistet wird. Der erste Schritt zu qualitativer Forschung ist darüber nachzudenken, was man täglich tut. Dies kann jeder tun, egal ob Forscher oder nicht. Die interessantesten Forschungsfelder sind sowieso echte Unternehmen und Entwicklungsabteilungen und nicht die Forschungsgruppen an Universitäten. Von daher auf die Plätze, fertig und los! ;-)
Die Diskussion zu diesen Thema muss von meiner Warte aus nicht fortgesetzt werden, da du, wenn ich es richtig verstanden habe, sowieso nicht für eine kausalempirische (empirisch-quantitative) Sozialforschung eintrittst (davon abgesehen, dass deine Promotion ja auch eher ein technologisches Thema denn ein sozialwissenschaftliches umfasst).
Dennoch möchte ich zum bessern Vertändnis meine letzten Ausführungen etwas vertiefen, da ich sie doch für die Einordnung von gesellschaftswissenschaftlichen Darstellungen (seien sie soziologischer oder ökonomischer Natur) im Alltag für zumindest bedenkswert halte (und weil ich auf diese Weise gezwungen bin einmal meine Gedanken dazu zu ordnen).
Ich bezog mich in meinem Kommentar deswegen auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“, weil, wie du bereits schriebst, die heutige Volkswirtschaftslehre eben fast vollständig auf den Arbeiten der Positivisten aufbaut und kausalwissenschaftliche Forschung betreibt. Die Österreiche Schule positioniert sich nun dagegen und kritisiert diese Methode. Dies ist jedoch keine Kritik über die Frage des Werturteils in der sozialwissenschaftlichen Forschung, um die es ja im Positivismustreit ging. Sondern die Österreicher betreiten, dass empirische Kausalwissenschaft in der Nationalökonomie (und überhaupt in der Sozialwissenschaft) überhaupt möglich ist.
Um einen Grund sich mit der Thematik zu beschäftigen vorwegzunehmen: All die unrealistischen Modellannahmen, die in der heutigen Volkswirtschaftslehre anzutreffen sind: Gleichgewichtswirtschaft, der homo oeconomicus, der vollständige Wettbewerb und weitere in der Wirklichkeit nicht anzutreffende Gegebenheiten haben ihren Ursprung in der Anwendung der kausalwissenschaftlichen Forschung, die – laut Österreichischer Schule – in den Sozialwissenschaften aus logischen Gründen nicht angewendet werden kann (ohne zu den aufgeführten nutzlosen „Erkenntnissen“ zu führen).
Um die Kritik der Österreicher besser zu verstehen, soll nachfolgend die kausalwissenschaftliche kurz Forschung erläutert werden; und daraufhin soll ebso kurz die Kritik der Österreichischen Schule dargelegt werden.
Die Kausalwissenschaftliche Methode
Laut Hoppe ummfast die kausalwissenschaftliche Methode all diejenigen „Techniken, die es bei einem gegebenen Set von Daten gestatten, Konstanten zu berechnen, mittels deren eine gegebene, als abhängig aufgefaßte Variable in einen gesetzmäßigen (funktionalen) Zusammenhang mit anderen Variablen gesetzt wird.“ (Hoppe1983, S.9)
Der mit dieser Methode arbeitende Forscher misst also in Experimenten mehrere Variablen und versucht im Nachhinein einen funktionalen (mathematischen, quantitativen) (Kausal-)Zusammenhang zwischen einigen Variablen herzustellen. Am Ende dieses Prozess soll dann eine Gleichung der Form f(x) = y stehen, in die gegebene Werte für die unabhängige Variable eingesetzt werden können, um daraufhin die Werte der abhängien Variable prognostizieren zu können.
Ist die Prognose richtig, so gewinnt die Hypothese etwas mehr Sicherheit, wird sie falsifiziert, wird sie aufgegeben und ein anderen funktionaler Zusammenhang wird gesucht.
Die Voraussetzung dieses Vorgehen ist das Erwarten von Konstanz, dass also sowohl die ermittelten Konstanzen also auch die funktionale Bezieung der Variablen zueinander unveränderlich (und damit für Prognosen tauglich) sind.
In den Naturwissenschaften funktioniert diese Methode auch, nicht aber in den Sozialwissenschaften.
In der Sozialwissenschaft beschäftigt sich der Forscher nämlich „mit sich selbst“, also mit dem menschlichen Handeln. Das Handel entspringt jedoch dem menschlichen Wissen und dies kann nicht als konstant angenommen werden ohne sich dabei in Widersprüche zu verwickeln: Denn wenn ich Forschung betreibe, dann ja mit der Absicht zu lernen, also mein Wissen zu verändern.
Wenn also das Konstanzprinzip im Bereich des menschlichen Handelns nicht existiert KANN keine kausalwissenschaftliche Sozialforschung möglich sein.
Das bedeuted, dass alle empirischen Experimente – seien dies Einzel- oder Gruppenexperimente oder statistische Erhebungen über ganze Volkswirtschaften – mit dem Ziel prognostizierbare Handlungsgesetze zu finden, vergebens sind.
Empirische Sozialforschung kann nie kausalwissenschaftlich, sondern immer nur rekonstruierend sein und „hierbei besitzen dann vor allem Studien aus dem Gebiet der Sozialanthropologie (Ethnologie), und, bei nur auf eine Gesellschaft eingeschränkten Betrachtungen, Studien zum Thema abweichendes Verhalten entscheidende Bedeutung.“ (Hoppe1983, S. 36)
Nach Hoppe muss der empirische Sozialwissenschaftler nicht Handlungstechnologe sondern Handlungsgrammatiker sein. Und solche Arbeiten sind, da stimmt Hoppe mit dir überein, nicht nur im Bereich des Software Engineering „überaus gering […]; und angesichts dessen ist es auch, daß es Studien dieses Typs sind, die mit Recht besonderen Respekt erheischen (und in der Regel wohl auch bekommen).“ (Hoppe1983, S.36)
Es mag nicht einsichtig sein, wieso ich (bzw. die Österreichische Schule) soviel Wert auf die Feststellung der Unmöglichkeit der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung lege. Mit Verweis auf die bereits oben angeführten „Ausgeburten“ der aktuellen Ökonomie hoffe ich dies etwas zu verdeutlichen. Denn es sind diese unrealistischen Annahmen die zur Begründung von konkreter, die Menschen betreffender Politik herangezogen werden und die meist durch kein anderes Verfahren gewonnen wurden als – und hier schließt sich der Kreis zu meiner letzen Kolumne – durch die Messung von Daten in einer Volkswirtschaft, die Ableitung von allgmeinen Handlungsgestzen und der Versuch damit die Entwicklung einer anderen Volkswirtschaft zu prognostizieren.
(Konkret: Siehe, dieses Land hat Mindestlöhne und es ist kein Schaden aufgetreten also wird auch bei uns kein Schaden auftreten, wenn wir welche einführen. Tscha, ich kanns nicht lassen :-))
Gruß
Martin
Quelle:
Hoppe1983 : Hoppe, Hans-Herman; „Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung;
Unters. zur Grundlegung von Soziologie u. Ökonomie“
Westdeutscher Verlag, 1983.
Zwei kurze Bemerkungen von meiner Seite noch. Ich lehne die empirische Forschung nicht ab. Ich bin ja sowieso Pragmatiker und bediene mich beider Ansätze, je nachdem was sinnvoll ist. Ich glaub man muss letztendlich so an Forschung herangehen, da man sich sonst mit Selbstzweifeln zerfrisst und sein eigentliches Ziel aus den Augen verliert. Es sind ja lediglich Forschungsmethoden, also Werkzeuge.
Auch in der Naturwissenschaft hat sich gezeigt, dass eben eine rein reduktionistische Sichtweise nicht mehr funktioniert. Die Quantentheorie zeigt, dass manche Sachen nicht genau vorhersagbar sind und damit der Mikrokosmos nicht wie ein Uhrwerk funktioniert.