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Verdummte Wissensgesellschaft

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Man ist jeden Tag so in seine teils Forschungsaufgaben vertieft, dass man gar nicht mal darüber nachdenkt, was Wissenschaft eigentlich bedeutet. Da ist es gut ein Buch wie die „Theorie der Unbildung“ von Konrad Paul Liessmann zu lesen, das einem das Denken von Stammtischmeinungen zum Thema Bildung durch Demonstration ihrer Einfachheit abnimmt…

Wenn jeder, der eine fundierte Meinung zum Thema deutsche Fußballnationalmannschaft hat, Nationaltrainer wäre, dann hätten wir wahrscheinlich allein in Deutschland 60 Millionen Nationaltrainer. Eine ähnliche Situation gibt es bei den potenziellen Bildungsministern. Jeder von uns hat seine Meinung zum Thema Bildungssystem, Unterrichtsstoff, Pisa, Organisation von Universitäten, usw. So bin ich der Auffassung, dass man in der Schule primär lernen sollte, wie man richtig lernt. Auch ist es meiner Meinung nach nicht wichtig jeden Fakt auswendig zu können, sondern man muss die Zusammenhänge begreifen und wissen, wo man die Details nachschlagen kann. Konrad Paul Liessmann zeigt aber in seinem Buch „Theorie der Unbildung“, dass dies eine ganz typische Stammtischansicht ist, die weder philosophisch fundiert noch pädagogisch sinnvoll ist. Ich fühle mich also ertappt und schweige lieber, da ich nachweislich keine Ahnung habe [frei nach Wittgenstein].

Das erste Aha Erlebnis hatte ich, als er die Bedeutung des Wortes „Schule“ erläutert. Obwohl ich 12 Jahre auf einer Schule war und dort auch Latein hatte, kann ich mich nicht erinnern, dass irgendwann mal das Wort Schule erklärt wurde. Das wurde wahrscheinlich ganz bewusst nicht gemacht, da es kontraproduktiv gewesen wäre. Schule kann aus dem Griechischen als „Innehalten in der Arbeit“ [Liessmann, S. 62] verstanden werden. Demnach soll Schule uns die Möglichkeit zum Denken bieten. Bildung ist folgerichtig nicht das Auswendigwissen von Fakten, sondern die Fähigkeit wenn nötig frei zu denken. Als großes Vorbild sieht Liessmann nicht eine Schule, die auf das Vermitteln von Fähigkeiten für den späteren Beruf ausgerichtet ist, sondern eine Schule, die sich an der Verwirklichung des Humboldtschen Bildungsideal orientiert.

Eine weitere Wortdiskussion hat mich ebenfalls aufgerüttelt. Das Wort Universität enthält als Bestandteil das Wort universal. Eine Universität sollte demnach eine universale Ausbildung bieten. In der Realität ist dies aber nicht mehr gegeben. Viele Universitäten beschränken sich auf auf bestimmte Fächergruppen (meist wirtschaftlich relevante) und haben damit kein universales sondern ein eingeschränkt spezifisches Angebot. Dies wäre nicht schlimm, wenn man solche Einrichtungen eben nicht als Universitäten bezeichnen würde, doch jede Einrichtung schmückt sich gern mit dem Titel.

Natürlich wird in dem Buch auch die Pisa Studie und ihre Folgen diskutiert. Seine Argumentation ist interessant, da er zunächst auf eine sehr lange Schul- und damit auch Lerntradition in Deutschland verweist. So konnte Deutschland nach dem 2. Weltkrieg eine weltweit führende Industrienation werden, obwohl die Pisaerkenntnisse völlig unbekannt waren. Heute orientieren sich Bildungspolitiker an dem Pisa Ranking und optimieren die Lehrpläne, damit man bei der nächsten Durchführung der Studie besser abschneidet. Dies führt dazu, dass im Endeffekt keine deutsche Forschungspolitik mehr existiert, sondern nur die Lern- und Sozialtheorien der Leute umgesetzt werden, die Pisa entworfen haben. Ob deren Ansätze aber für Deutschland gut und passend sind, wird nicht hinterfragt. Eine ähnliche Situation ergibt sich bei der Umstellung des deutschen Hochschulsystems auf Bachelor und Master. Obwohl deutsche Universitäten eine mehrere hundert Jahre lange Tradition haben, müssen sie mit diesen Erfahrungen brechen und ein neues System übernehmen. Liessmann betont, dass er nicht prinzipiell gegen Veränderungen ist. Aber die Fragen, die er aufwirft, sollten gestellt und diskutiert werden!

Sein Buch ist eine Polemik. Und es ist eine sehr gut geschriebene Polemik. Man merkt, dass Herr Liessmann sehr geschickt in der Wahl der Worte ist. Ich habe in dem Buch Worte gesehen, die ich schon seit langer Zeit nicht mehr irgendwo gedruckt lesen durfte. Diese Verkümmerung des Sprachgebrauchs ist folgerichtig auch eines der angesprochenen Themen im Buch. Obwohl wir in einer Wissensgesellschaft leben und globalisiertes English sprechen, verkümmert unsere Sprachfähigkeit. Dies kann ich aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen. Gerade beim Schreiben von Artikeln und Beiträgen, egal ob wissenschaftlich oder populär, beschränke auch ich mich auf einen gängigen Wortschatz. Am Anfang tut man dies bewusst, um genauso glaubwürdig zu klingen, wie die anderen. Irgendwann kann man dann nicht mehr anders und man nimmt es auch nicht mehr wahr.

Wer sich für Bildungspolitik interessiert und mal über das typische Talkshow Niveau der Argumente hinaus gehen will, dem kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen!

Ein Kommentar to “Verdummte Wissensgesellschaft”

  1. Ein Kommentar dazu habe ich bereits angefangen. Dieser ist der Kommentarform jedoch etwas entwachsen und wird evt. eine eigene Kolumne, wenn ich diese denn fertigstelle.

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