Gedanken zur wissenschaftlichen Arbeit
Tags: openscience, paper, Promotion, web20
Kategorie Web | 8 Kommentare »
Vor einigen Tagen haben die Macher von scholarz.net endlich erste Details (und hier noch weitere Details) zu ihrer geplanten Software für Wissenschaftler veröffentlicht. Ich sage endlich, weil sie uns in den letzten Wochen mit leichter aber sicher suchmaschinenträchtiger Kost wie zum Beispiel Nutzung von Mindmaps gelangweilt haben (sorry Jungs, aber Kritik muss auch sein). Ich hab mir auch mal ein paar Gedanken zu solch einer Wissenschaftler Software gemacht und bin da auf ein paar erstaunliche Sachen gestoßen…
Erkenntnis 1 ist, dass ich als Einzelkämpfer keine solche Software brauche. Das mag jetzt etwas ernüchternd klingen, ist aber die Wahrheit. Moderne Betriebssysteme, egal ob Windows, Linux oder Mac OS, bieten eigentlich alle notwendigen Mittel, um sich effizient zu verwalten. Meine Literatur sammel ich zum Beispiel in einer Verzeichnisstruktur. Immer, wenn ich ein Paper oder ein Buch gelesen habe, lege ich mir einen Ordner für dieses Werk an. In dem Ordner gibt es immer 3 Dateien:
- Das eigentliche Dokument (also meist ein PDF), wenn ich das Dokument elektronisch verfügbar habe. Das ist natürlich bei Büchern meist nicht der Fall.
- Eine Datei mit der genauen Quellenangabe, wobei ich hier vorzugsweise gleich einen ordentlichen Bibtex Eintrag ablege.
- Eine Datei mit Notizen zum Inhalt, wobei ich dort erst mal nur in Stichpunkten die wichtigsten Aspekte des Papers festhalte. Meist schreibe ich mir die grobe Argumentationslinie auf sowie die Haupterkenntnisse. Bei manchen Papern ist die Inhaltsangabe auch extrem kurz. Zum Beispiel veröffentlichen viele Leute immer wieder die gleichen Inhalte, nur leicht umgeschrieben. In diesem Fall steht dann in der Inhaltsangabe nur ein Verweis auf das Originalpaper.
Den Ordnernamen, in dem das Paper abgelegt ist, wähle ich auch nicht zufällig. Der Ordnername setzt sich prinzipiell folgendermaßen zusammen:
Name des Erstautors + Erscheinungsjahr + [a..z], falls es mehrere Veröffentlichungen des Autors in dem Jahr gibt + Bindestrich + kurze Inhaltsangabe in max. 5-6 Stichwörtern
Nimmt man zum Beispiel mein letztens hier vorgestelltes Paper vom MSEIM Workshop, so lautet der Ordnername:
feja2008-graph_validation_rules_epk
Man sieht, ich kürze natürlich stark ab, damit die Ordnernamen nicht zu lang werden. Alle Paper, die ich gelesen habe, kommen in einen Ordner „checked“, alle Paper, die ich noch lesen will, kommen in einen Ordner „unchecked“. Unabhängig davon, ob ich die Paper schon gelesen habe, erstelle ich immer den Ordnernamen und versuche neben dem eigentlichen Dokument auch die Quellenangabe zu besorgen. Da immer ein gewisser Grundaufwand mit dem Sammeln eines Papers verbunden ist, beschränke ich mich schon aus eigener Faulheit heraus immer nur auf eine relevante Anzahl von Papern anstatt alle möglichen Paper zu sammeln, die ich so oder so niemals alle lesen werde. Momentan sind in meinem „unchecked“ Ordner rund 40 Paper und in meinem „checked“ Ordner befinden sich mit Papern, die ich in meiner Masterarbeit genutzt habe, weit über 200 Paper.
Wenn ich jetzt zu einem speziellen Thema was schreiben will, gehe ich entweder meine Ordnerliste durch um ein Paper zu finden, aber in den meisten Fällen kenne ich die Quelle so oder so. Für größere Literaturübersichten, zum Beispiel beim Schreiben eines Papers, erstelle ich mir meist eine Mindmap und ordne die Literatur dann dort entsprechend an. Falls ich wirklich mal ein bestimmtes Zitat suche und es nicht mehr finden kann, gibt es als Notlösung immer noch die Möglichkeit eine Desktopsuchmaschine oder eine einfache Textsuche über die verschiedenen Verzeichnisse hinweg zu nutzen. Da meine gesamten Notizen zu den Papern sowie die Quellenangaben als einfache Textdateien vorliegen, geht das auch erstaunlich gut.
Ich hatte auch schon an eine Verschlagwortung der Literatur gedacht, also was die Leute bei scholarz.net als das Zuweisen von Tags beschreiben. Bis jetzt habe ich das noch nicht wirklich benötigt, aber wenn ich es realisieren würde, dann würde ich wahrscheinlich einfach in jeden Ordner eine Datei „keywords“ ablegen und in diesen die Tags pflegen. Dann könnte ich mit relativ einfachen Kommandozeilentools wie grep nach allen Ordnern mit einem bestimmten Tag suchen.
Mein System funktioniert solange gut, wie ich es allein benutze. Würde nur eine weitere Person hinzu kommen, wäre Chaos vorprogrammiert. Die Person wahrscheinlich die Ordner anders benennen oder die Inhaltsangabe anders pflegen. In solch einem Fall bräuchte man also eine andere Lösung. Auch erst in diesem Fall macht es überhaupt Sinn Online zu gehen. Man mag einwänden, dass man doch auch schon allein davon profitiert, da man dann von überall auf der Welt Zugriff auf seine Forschungsdaten hat. Wahrscheinlich bin ich etwas altmodisch, aber bis jetzt hat es mir immer gereicht, die Daten auf meinem Laptop mit mir herumzuschleppen :-)
Doch gehen wir mal den Gedanken mit, dass mehrere Leute die Forschungsdaten pflegen. Dann muss ich zuerst fragen, warum sollten dies überhaupt mehrere Leute machen? Ich könnte mir momentan eigentlich nur vorstellen, dass sowas innerhalb einer Arbeitsgruppe mit max. 3-5 Forschern passiert. In diesem Fall ist aber sicher ein einfaches Wiki ausreichend und ich brauche keine komplett neue Software mit Social Network, oder?
Man könnte aber noch einen Schritt weitergehen und sich vorstellen, dass gesamte Forschungsgemeinschaften online zusammen arbeiten. Diese bräuchten dann natürlich mächtigere Tools, damit die ganze Sache nicht im Chaos endet. Allerdings kommen dann auch ganz schnell rechtliche Probleme hinzu. Viele Paper kann man wegen eingeschränkter Nutzungsrechte nicht öffentlich zugänglich ablegen, selbst wenn die Öffentlichkeit vielleicht nur aus 100 Wissenschaftlern besteht. Auch ist fraglich, ob alle Wissenschaftler wirklich an so einer offenen Forschung interessiert sind. Meine Vermutung ist, und dies ist für mich die Haupterkenntnis, dass wir dazu erst eine ganz andere Forschungsmentalität benötigen. Forschen ist heute zu einem Wettkampf um Veröffentlichungen verkommen. Es geht oftmals gar nicht mehr so sehr um wirklich neue Erkenntnisse sondern um die Veröffentlichung dieser Erkenntnisse, da die Veröffentlichung Anerkennung, Reputation und Aufmerksamkeit bedeutet. Das wiederum ist für den Wissenschaftler genauso wichtig wie für jeden im öffentlichen Wettbewerb stehenden Menschen (etwa Politiker, Entertainer, Sportler, Berater oder Blogger), denn eine hohe Reputation sichert neue Forschungsgelder und damit vielleicht den Ausbau der eigenen Forschungsgruppe.
Die Forschung unterliegt also auch einem Streben nach Aufmerksamkeit. Diese kann man durch Veröffentlichung in Leitmedien erhalten. Diese Leitmedien sind im Bereich der Wissenschaft nicht Spiegel Online oder Heise, sondern Fachzeitschriften. Die Fachzeitschriften werden von Verlagen kontrolliert und diese lassen sich den Zugang teuer bezahlen. Die OpenAccess Bewegung versucht den Zugang zu den Fachzeitschriften neu zu regeln, aber an dem System der Aufmerksamkeit wird nicht gerüttelt.
Hier sind Projekte wie scholarz.net Vorreiter. Auch wenn es sicher erst mal ein einfaches Tool zur Arbeit in kleinen geschlossenen, vielleicht verteilten, Forschungsgruppen werden soll, kann es doch der Nährboden für eine andere Art der Forschung sein. Mit etwas Abstand betrachtet ist es sowieso extrem fraglich, warum wir unsere Forschungsarbeit nicht gleich im Internet veröffentlichen, sondern solch einen Budenzauber mit Papern drumherum basteln.
Soviel zum Wort zum Samstag ;-)
Genau dieses System dass Du beschreibst um Deine Literatur zu organisieren konnte ich nicht mehr ertragen. Und den Aufwand, immer drei Dateien je Ordner usw bzw. vier bei Verschlagwortung – wuah, da schüttelt es mich. Ich hoffe, die Software von Scholarz wird ein bisschen mehr, was ich mir vorstelle, ich hab ein paar Onlinelösungen getestet und weitere in den Kommentaren vorgeschlagen bekommen, aber glücklich bin ich noch nicht (obwohl es mir unreflektiert alles so einfach vorkommt). Zum Thema Zusammenarbeit in größeren Gruppen habe ich mir noch keine Gedanken gemacht: Ich sehe aber, dass das einige Projekte durchaus gebrauchen könnten.
Hallo Faustus,
egal welches System du verwendest, du wirst immer von Hand Inhaltsangaben pflegen müssen. Ob man das in Textdateien oder in einem Onlinetool macht, macht keinen Unterschied.
Ich bin nicht komplett gegen Tools wie scholarz, aber ich finde man muss sowas kritisch hinterfragen, um die echten Anforderungen zu erkennen.
Klar, da kommt man nicht umhin,. Aber ich finde, es ist schon was anderes, das übersichtlich in einem Bedienfeld machen zu können oder in unterschiedlichen Dokumenten in einer unübersichtlichen und kryptischen Ordnerarchitektur, zumindest ging es mir so.
Hi Faustus,
das hängt natürlich von der eigenen Arbeitsweise ab, aber ich stimme dir zu, dass etwas mehr Komfort schon wünschenswert ist. Da ich aber selber noch mit der Kommandozeile groß geworden bin und auch zum Beispiel noch einen rein textbasierten Emailclient nutze, sind Ordnerstrukturen und Textdateien für mich komfortabel. Aber ich gebe natürlich gerne zu, dass ich da sicher nicht ganz normal bin :-)
Hallo Sebastian,
Danke für Deine Reflexion zu „scholarz.net“!
Wir wollen Dich gar nicht für etwas anderes „bekehren“, wenn Du bestens mit dem arbeiten kannst, was zur Verfügung steht.
Mir selbst war es nicht genug. Heute ist mir „scholarz.net“ in meiner Forschungsarbeit eine große Hilfe.
Die Idee ist entstanden, als es mir genauso ging wie Faustus: ständig
suchen, kilometer-lange Word Dateien mit Zusammenfassungen durchscrollen,
usw. hat mich genervt und war extrem inneffizient. Was ich wollte war eine
Lösung, in der ich meine Informationen erfassen, aber auch gleich dem
Zielprojekt zuordnen kann, um mir Zwischenschritte zu ersparen. Z.B.: ich
erfasse ein Quelle, und notiere mir ein Zitat. Dieses kann ich gleich dem
entsprechenden Kapitel meiner Diss zuordnen und verschlagworten. Die eine
Notiz liegt also in der Quelle, im Projekt und im Schlagwort. Ich habe sie
genau da, wo ich sie jeweils brauche.
Wissensmanagement und Literaturverwaltung kombiniert, Infos
nicht-hierarchisch strukturiert und mehrdimensional auswertbar: das ist der
Kern von „scholarz.net“. Da setzen wir dann noch den Wissensaustausch und
das Netzwerk drauf. Für manche ist das eine großartige Erweiterung, aber man
muss es nicht nutzen. Denn im Mittelpunkt steht der einzelne Forscher mit
seinen Daten und Projekten.
Beste Grüße aus Würzburg
Daniel
Hi Daniel,
ich glaub ihr könnt das volle Potenzial eurer Software dort machen, wo es wirklich um eine Zusammenarbeit mehrerer verteilter Forscher geht. Wenn man es allein einsetzt, dürften schon heute verfügbare kommerzielle Softwarelösungen wie Endnote eure Anforderungen erfüllen.
Aber ich bin auf alle Fälle gespannt, was da noch kommt!
Vielleicht hast du recht. Andererseits: die Idee entstand, gerade weil uns Endnote nicht genug war. Endnote ist eine geniale Literaturverwaltung, die ich auch weiter verwende. Was fehlt ist das Wissensmanagement. Wohin mit all meinen Exzerpten und Zitaten? Und wie vermerken, wo ich die irgendwann mal einbauen möchte? Da hilft Endnote nicht weiter.
Hallo Daniel,
wahrscheinlich hab ich mich da einfach vertan. Ich hatte neulich bei einem Senior Researcher gesehen, wie er seine Literatur verwaltet hat. Ich dachte, es war Endnote, was er mir zeigte, vielleicht war es aber auch eine erweiterte Version mit speziellen Plugins oder so. Auf alle Fälle konnte man dort die Literatur in neue Projekte einfügen, z.B. für ein Paper. Auch Zitate konnte man da ablegen. Es war allerdings eine reine Windows Desktopanwendung. Falls ich wieder rausbekomme, was es für ein Programm ist, meld ich mich nochmal.