Semantisches ARIS Teil 4 – Ergebnisse
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Puh ha, wer bis jetzt bei dieser kleinen Serie durchgehalten hat, bekommt heute endlich die eigentlichen Ergebnisse der ganzen Anstrengung präsentiert. Nochmal zur Erinnerung: Die ganzen Prototypen haben wir ja lediglich als Mittel zum Zweck gebaut, damit wir die Idee des semantischen Geschäftsprozessmanagement in realistischer Umgebung ausprobieren können. Heute also die Ergebnisse und damit der Abschluss dieser Artikelserie…
Unser Prototyp bestand aus einem erweiterten ARIS und einer angepassten Ausführungsumgebung (aka SISi), damit wir die im ARIS semantisch annotierten Geschäftsprozesse auf Basis einer BPEL Engine ausführen können. Für die eigentliche Evaluierung haben wir eine Fallstudie durchgeführt. An der Fallstudie haben insgesamt 17 Personen aus 8 verschiedenen Organisationen teilgenommen. Zunächst: Herzlichen Dank an alle Teilnehmer (der eine oder andere liest hier ja mit)!!! Die Teilnehmer stammen aus Wissenschaft und Praxis. So haben mehrere FH Professoren teilgenommen, aber auch mehrere Personen, die selbst für das Geschäftsprozessmanagement in Firmen verantwortlich sind oder Firmen in diesem Bereich beraten. Insgesamt wurde die Fallstudie 13mal durchgeführt, da einige Teilnehmer die Fallstudie in Gruppen erarbeitet haben.
Die Fallstudie konzentrierte sich auf die Modellierung in ARIS und beschrieb, wie die Ausführung erfolgen würde. Um den zeitlichen Aufwand für die Teilnehmer zu minimieren, haben wir darauf verzichtet, die Ausführung der Prozesse von den Teilnehmern durchführen zu lassen. Das wäre auch weniger spannend gewesen, da das von ARIS generierte BPEL so vollständig ist, dass keine Modifikationen mehr notwendig sind. Alle Teilnehmer konnten mit Vorbereitung (etwa Installation der ARIS Erweiterungen) die Fallstudie in 1-2 Stunden durchführen. Neben dem ARIS Prototypen gab es noch eine vorbereitete Datenbank und eine Schritt-für-Schritt Anleitung. Die Datenbank enthielt den exemplarischen Geschäftsprozess. Dieser Geschäftsprozess stammt von der Firma Telekomunikacja Polska (TP). Die Anleitung erklärt zunächst den Geschäftsprozess, dann die zur Annotation zu verwendende Ontologie und anschließend wie man den ARIS Prototypen zur semantischen Annotierung verwendet.
Nachdem die Teilnehmer die Anleitung abgearbeitet hatten, wurden sie von uns meist per Telefon interviewt. Die Interviews haben rund 1 Stunde gedauert. Ziel der Interviews war es nicht die Teilnehmer von der Idee semantisches BPM zu überzeugen, sondern mit ihnen offen über die Vor- und Nachteile zu diskutieren. Tatsächlich waren die Interviews am produktivsten, in denen wir nicht unseren Fragenkatalog strikt abarbeiten mussten, sondern in denen eine echte Diskussion entstand, bei denen auch die Teilnehmer durchaus die Fragen stellten.
Was sind nun die Ergebnisse? Zunächst, die Ergebnisse stellen keine endgültigen Erkenntnisse dar, sondern müssen vielmehr als Hypothesen verstanden werden, die es nun gilt mit weiteren Untersuchungen zu bestätigen (oder widerlegen). Eine Hypothese ist zum Beispiel, dass man möglichst den Begriff „Ontologie“ vermeiden sollte. Niemand weiß so wirklich, was dieses Wort bedeutet. Deshalb ist es sinnvoller über eine „semantische Beschreibung“ zu sprechen. Die Teilnehmer verwendeten auch Begriffe wie „Glossar“ und „Taxonomie“. Einige sprachen auch von „Namensraum“, „domänspezifische Sprache“ oder „Klassifikation“. Einige Teilnehmer wiesen darauf hin, dass eine Ontologie nicht nur Begriffe definiert, sondern auch Beziehungen zwischen diesen. Eine andere Aussage war, dass eine Ontologie das Vokabular standardisiert. Nur sehr wenige Teilnehmer erkannten aber, dass eine Ontologie von Maschinen verarbeitet und „verstanden“ werden kann.
Für den Geschäftsprozess von TP wurde eine Ontologie in der Anleitung zur Verfügung gestellt. Alle Teilnehmer bestätigten, dass sie die Ontologie am Anfang der Fallstudie gelesen hatten, aber nur wenige nutzten sie später während der Modellierung. Für viele Teilnehmer war es unklar, woher die Ontologie stammte und wer sie im Alltag erstellt. Die Ontologie war lediglich in der Anleitung enthalten, aber sie war nicht Teil der Datenbank für ARIS. Damit stand die Ontologie nicht direkt im Modellierungswerkzeug zur Verfügung. Dies empfanden mehrere Teilnehmer als nachteilig und ein zukünftiges Werkzeug müsste solch eine Darstellung unterstützen. Interessant war, dass viele Teilnehmer den Einsatz von Ontologien allein schon begrüßten und darin einen Mehrwert sahen („standardisiertes Vokabular“), selbst wenn die Ontologie später nicht mehr gebraucht werden sollte.
In der Anleitung war die Ontologie auf 3 verschiedene Arten visualisiert. Eine Abbildung zeigte die Ontologie als einen Stern. Dieser Stern wurde mit WSMO Studio generiert. Eine weitere Darstellung zeigte die Ontologie als UML Klassendiagramm. In einer dritten Darstellung war der WSML Code der Ontologie abgebildet. Wenn die Teilnehmer nicht vertraut mit der UML waren, empfanden sie den Stern als hilfreich, da er sie an eine Mindmap erinnerte. In allen anderen Fällen war das UML Klassendiagramm beliebter, da es mehr Informationen (etwa Attribute) enthält. Die WSML Darstellung empfanden alle Teilnehmer als unbrauchbar. Das ist interessant, da die einfache WSML Syntax in wissenschaftlichen Kreisen als ein Hauptargument für WSML gilt. Hier zeigt sich, dass dieses Argument in der Praxis nicht zieht. Benötigt werden grafische Darstellungen, die anpassbar und navigierbar sind. Und natürlich sollten sich diese Darstellungen wiederum direkt im Modellierungswerkzeug befinden und nicht, wie im Fall der Fallstudie, lediglich in der Anleitung.
Während der Fallstudie mussten die Teilnehmer für jede Funktion im Geschäftsprozess ein WSMO Goal auswählen. Hier zeigte sich die Cleverness der Teilnehmer. Anstatt sich mit dem WSML Code rumzuschlagen, suchten fast alle Teilnehmer lediglich den Namen des WSMO Goals im WSML Code. Nun ja, so war das natürlich nicht gedacht :-) Fazit war wiederum, dass eine grafische Darstellung unbedingt benötigt wird. Ein Teilnehmer machte sogar einen konkreten Vorschlag, den man in der folgenden Abbildung bewundern kann. Interessant war, dass Teilnehmer skeptisch waren, ob die Auswahl eines WSMO Goals wirklich einfacher als die Auswahl eines Web Service ist. Gerade an diesen Fragen sieht man, wie viel Arbeit noch bis zum Erreichen der Vision vom semantischen Geschäftsprozessmanagement notwendig ist.
In der Fallstudie mussten die Teilnehmer weiterhin den Datenfluss des Prozess vervollständigen. Jedes WSMO Goal bringt so genannte Eingabe- und Ausgabeinstanzen der Ontologie mit. Bei der Diskussion mit den Teilnehmern hat sich gezeigt, dass diese Instanzen nicht dem entsprechen, was man normalerweise bei der Modellierung eines Geschäftsprozess verwendet. Wenn ein Fachmodellierer eine Ausgabe modelliert, dann muss er nicht explizit formulieren, dass dieses Datenobjekt irgendwo abgespeichert wird. Eine Ausgabeinstanz ist hingegen wie eine Variable, die man explizit in einem Speicher ablegen muss, damit sie ihren Wert behält. In der Geschäftsprozessmodellierung wird also wesentlich abstrakter mit Daten umgegangen, als es momentan bei WSMO Goals geschieht. Dadurch passen beide Ansätze nicht aufeinander. Dieses Problem tritt übrigens nicht nur bei der semantischen Geschäftsprozessmodellierung auf, sondern jeder Hersteller von Modellierungswerkzeugen kämpft damit, wenn er versucht eine intuitive Oberfläche zur Modellierung von ausführbaren Prozessen zu entwickeln. Meiner Meinung scheitert momentan auch BPMN an diesem Problem, denn die Konstrukte zur Datenmodellierung sind nur schwach ausgeprägt. Aber das ist ein anderes Thema…
Ein weiterer interessanter Diskussionspunkt war, ob nun die dynamische Suche von zu den WSMO Goals passenden Web Services während der Prozessausführung benötigt wird. Es gab dazu sehr unterschiedliche Meinungen und eine abschließende Bewertung ist nicht möglich. Einige Teilnehmer meinten, solch eine dynamische Suche ist sinnvoll, etwa damit bei Ausfall eines Web Service automatisch Ersatz gesucht werden kann. Andere Teilnehmer sahen darin aber eine neue Fehlerquelle, die zudem die Komplexität der Infrastruktursoftware weiter erhöht. Vom Gefühl her würde ich sagen, momentan kann niemand eine wirklich überzeugende Begründung für dynamische Servicesuche während der Ausführung von Geschäftsprozessen liefern.
Viel interessanter war aber eine ganz andere Aussage. Normalerweise sagen die typischen SOA Marketingslogans, dass man Dank SOA endlich eine Verknüpfung von Fachwelt und IT erreichen kann. Dies gelingt laut SOA Marketing, da die Fachwelt endlich die ausführbaren Prozesse selbst gestalten kann. Das semantische Geschäftsprozessmanagement verspricht hier weitere wesentliche Fortschritte, da eine weitere Abstraktion der IT möglich wird und IT Artefakte automatisch aufeinander abgestimmt werden können (aka Mediation). Die Teilnehmer sahen aber einen ganz anderen Vorteil. Sie betonten, dass Dank semantischer Abstraktion eine deutliche und klare Trennung zwischen Fachwelt und IT möglich wird. Dadurch kann die Fachwelt in ihrer Sprachwelt modellieren und die IT kann diese Artefakte aufgreifen. Eine automatische Transformation zwischen beiden Welten ist laut den Teilnehmern gar nicht so wichtig.
Als nachteilig wurde die Komplexität beurteilt. So schreckt natürlich WSML Code jeden „Manager“ ab und man kann das semantische Geschäftsprozessmanagement in der aktuellen Form nicht verkaufen. Ein weiteres Problem entsteht durch einen Interessenkonflikt. Die Ontologien und semantischen Beschreibungen (d.h. WSMO Goals) müssen von Experten erstellt werden, die höchstwahrscheinlich von der Unternehmens-IT bezahlt werden. Allerdings hat die IT nur einen geringen Nutzen, denn die semantischen Beschreibungen werden von den Fachmodellierern eingesetzt. Es müssen deshalb Möglichkeiten gefunden werden, um bei diesen unterschiedlichen Interessen („Warum soll IT für Erstellung zahlen, wenn sie nichts davon hat?“) zu vermitteln.
Man kann also sehen, dass es noch sehr viele ungelöste Probleme und offene Fragen gibt. Der Beitrag dieser Fallstudie ist, dass diese Probleme erkannt wurden, auch wenn natürlich noch keine Lösung geboten werden kann. Ich würde mir jetzt wünschen, dass sich der eine oder andere Wissenschaftler diesen Problemen annimmt und z.B. eine grafische Darstellung von WSMO Goals entwickelt und empirisch testet (z.B. Experiment). Da ich aber Realist bin weiß ich, dass dies nicht geschehen wird. 99% aller Naturwissenschaftler entwerfen lieber einen neuen Algorithmus oder Formalismus anstatt sich auf praktische Probleme zu konzentrieren :-)
Hi!
Bezüglich deiner graphischen Darstellung:
Irre ich mich oder sollte das logische „or“ zwischen den Preconditions ein „and“ sein?
Gruß
Frank
Hallo Frank,
jau, das ist eine gute Frage. Ich hab die Darstellung einfach so übernommen, wie ich sie vom Teilnehmer erhalten hatte. Dem Teilnehmer ging es mehr darum zu zeigen, dass jedes Objekt (also etwa die Bedingungen) immer am gleichen Fleck stehen sollte, damit man es schnell findet. Prinzipiell hast du aber Recht. Da müsste wahrscheinlich ein AND hin.