Trend zu Konformität
Tags: politik, Promotion, qualitative
Kategorie Promotion | 5 Kommentare »
In Vorbereitung auf meine Verteidigung lese ich momentan nochmal alle meine größeren wissenschaftlichen Arbeiten wie Diplomarbeit, Masterarbeit und natürlich die Promotionsschrift selbst. Dabei muss ich leider einen Trend zu Konformität feststellen…
Wissenschaft ist ein Biest. Geht man nicht wissenschaftlich vor, kann man leicht zu falschen Ergebnissen kommen. Hält man sich aber strikt an Vorgehensweisen wissenschaftlichen Arbeitens, kann man immer nur kleine Schritte machen, da alles andere sich nicht sauber begründen lässt. Diese Taktik kleiner Schritte verhindert aber Erkenntnissprünge.
Dies kann man sehr schön an meinen bisherigen Arbeiten feststellen. Die in meiner Diplomarbeit formulierten Ideen sind radikal. In der Diplomarbeit unterstelle ich der industriellen Softwareentwicklung eine Abhängigkeit zu einem veraltetem Weltbild. Meine Forderung lautet, dass wir uns von Irrglauben wie Planbarkeit und Steuerbarkeit von Softwareprojekten verabschieden müssen, denn wir leben in einer nicht-linearen nicht-deterministischen Welt, ganz im Sinne eines modernen Weltbildes (Quantentheorie, Kybernetik höherer Ordnung, Chaostheorie, etc.).
Meine Masterarbeit ist da schon wesentlich zurückhaltender. Die einzig echte Innovation der Arbeit besteht darin, dass ich eine Forschungsmethode in meiner Studie verwendet habe, die normalerweise nicht im Bereich Software Engineering Forschung gern gesehen ist. Ansonsten vermeide ich jede generalisierende Aussage, um mich nicht angreifbar zu machen.
Meine Promotionsschrift, wie der geneigte Leser bald selbst prüfen kann, ist noch unmutiger, als alle anderen Schriften zuvor. Bloß keine konkreten Aussagen machen, um nicht angreifbar zu sein. Mit der Angreifbarkeit ist das allerdings so eine Sache, denn ein erfahrener Gutachter findet immer irgendeinen Punkt, den er kritisieren kann. So muss ich mir sicher vorhalten lassen, dass ich zu viele unterschiedliche Themen bearbeitet habe und mir somit wissenschaftlicher Fokus fehlt. Dem könnte ich entgegenhalten, dass eine Kombination verschiedener Fächer auch eine Leistung darstellt, was aber ein total unwissenschaftliches Argument ist.
Dieser Hang zu Konformität ist bedenklich, denn ich vermute, dass das nicht nur bei mir so ist. Die Sache könnte noch schlimmer werden, wenn zukünftig Promotionsstudiengänge nach Vorbild ausländischer Universitäten eingeführt werden. Die Promotionsleistung wird dann zwar vielleicht vergleichbarer, aber die meisten Promotionen werden sicher auch gleich langweilig bzw. unbedeutend sein. Nach fast 4 Jahren Promotion bin ich deshalb davon überzeugt, dass wirkliche Innovation nicht durch Wissenschaft garantiert ist. Vielmehr benötigen wir Denkfreiräume, damit Menschen wieder gemeinsam rumspinnen können, ohne gleich zu fragen, wie sich die Gedanken in das nächste Paper umwandeln lassen.
„Meine Forderung lautet, dass wir uns von Irrglauben wie Planbarkeit und Steuerbarkeit von Softwareprojekten verabschieden müssen, denn wir leben in einer nicht-linearen nicht-deterministischen Welt“.
Gilt das nur für Softwareprojekte oder könnte man diese Aussage noch weiter verallgemeinern?
Da ich mir denken kann, worauf du hinaus willst, weigere ich mich die Frage zu beantworten :-) In der Wirtschaftstheorie ist es schon lange bekannt, dass man nur einen beschränkten Planungshorizont hat.
Jain. Diese Erkenntnis gilt nur für normale Menschen. In dem Moment, wo ein Mensch aber in die Position eines Politikers oder Beamten eintritt ist Sache anders. Dann wird diesen Personen plötzlich eine Voraussicht unterstellt, die die Umsetzung von Projekte mit Millionen von „Projektteilnehmern“ möglich macht.
Was mich rückschließend die Frage stellen lässt, ob somit die Erkenntnisse, die du in deiner Diplomarbeit gewonnen hast, evtl. nur für „normale“ Menschen gelten und staatliche Organe – aus oben genannten Gründen – Softwareprojekte wesentlich besser umsetzen können ;-)
Das wäre doch mal eine These.
Ich sag ja, ich wusste worauf du hinaus willst :-)
Diese Sache mit der Angreifbarkeit kenne ich noch sehr gut von meiner Diplomarbeit. Damals ging es mir ähnlich wie dir.