Mär von Stammzellentnahme während Geburt
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Wahrscheinlich die Mehrzahl aller Erwachsenen, die in den letzten 10 Jahren Kinder bekommen haben in Deutschland, wurden mit der Frage konfrontiert, ob sie während der Geburt nicht Blut aus der Nabelschnur entnehmen und für das Kind aufbewahren wollen. Die Idee ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt aus dieser Probe für das Kind wichtige Zellen gewonnen werden können, um zum Beispiel Alzheimer oder Leukämie zu heilen. Ein fast aktueller Artikel zeigt aber, dass hier zu hohe Erwartungen geschaffen werden.
Die Geschichte klingt einleuchtend. Das Blut aus der Nabelschnur eines gerade geborenen Kindes enthält Zellen, die sich noch in alle möglichen Spezialzellen (etwa wie Blutzellen oder Lungenzellen) entwickeln können. Da liegt es nahe, dass man versucht diese so genannten Stammzellen für das Kind aufzubewahren, damit man zu einem späteren Zeitpunkt solche Spezialzellen züchten kann. So könnte man etwa gesunde Blutzellen züchten, falls das Kind an Leukämie erkrankt.
Viele werdende Eltern stehen deshalb vor der Frage, ob sie die Stammzellen ihres Kindes einlagern wollen. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn die Lagerung der Zellen bzw. der gesamten Probe ist mit teils erheblichen Kosten verbunden. So muss eine jährliche Lagerungsgebühr gezahlt werden und zusätzlich manchmal auch noch eine Einmalgebühr. Einzig die Spende an eine allgemeine Datenbank ist kostenlos, da hier die Probe für die Allgemeinheit verwendet wird und somit nicht dem eigenen Kind zur Verfügung steht.
In einem aktuellen Artikel haben die Autoren eine Literaturstudie durchgeführt um zu schauen, ob es überhaupt schon sinnvolle Anwendungen für Stammzellen gibt. Den Artikel kann man online auf der Seite des Deutschen Ärzteblatts lesen bzw. hier die offizielle Quellenangabe:
Verena Reimann, Ursula Creutzig, & Gesine Kögler (2009). Stammzellen aus Nabelschnurblut in der Transplantations- und regenerativen Medizin Deutsches Ärzteblatt, 106 (50), 831-835 : 10.3238/arztebl.2009.0831
Interessant ist zunächst, dass man unterscheiden muss, ob eigene Stammzellen oder die Stammzellen einer anderen Person verwendet werden. Laut der Studie gibt es bis heute kaum Anwendungen, bei denen erfolgreich eigene Stammzellen eingesetzt werden. Hingegen gibt es eine Vielzahl von Beispielen, bei denen Stammzellen einer anderen Person eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass aus den eingefrorenen Proben kaum genügend Zellen für eine Behandlung gewonnen werden können. Deshalb lauten die Empfehlungen an Ärzte auch, dass sie werdende Eltern ermutigen Nabelschnurblut zu spenden, aber eben für die Allgemeinheit und nicht für das eigene Kind. Nur in wenigen Ausnahmefällen kann dies sinnvoll sein, etwa wenn es ein erkranktes Geschwisterkind gibt. Generell gilt laut Artikel, „dass die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind sein eigenes Nabelschnurblut benötigen wird, extrem gering ist“.
Aus meiner Sicht zeigt dies, dass hier mit der Unsicherheit der Eltern versucht wird Geschäft zu machen. Fraglich ist, ob es überhaupt kommerzielle Anbieter geben sollte, oder ob Nabelschnurblut nicht zentral gesammelt werden sollte. Dann würde wahrscheinlich eine objektivere Beratung stattfinden.
Der Artikel macht Mut, denn die Geburt eines Kindes könnte dabei helfen, das Leben eines älteren Menschen zu verlängern. Die Ansätze zur Verwendung von Stammzellen bei der Behandlung etwa von Herzinfakten sind laut Artikel vielversprechend. Es wäre doch schön, wenn die Geburt eines Kindes immer auch Hoffnung für einen anderen Menschen bedeutet!
Mit der Thematik der Verwendung von Stammzellen eines Geschwisterkindes setzt sich auch der Roman Beim Leben meiner Schwester von Jodi Picoult auseinander. Ich habe bisher nur den gleichnamigen Film gesehen, kann daher nicht genau sagen wie das Buch ist.
Es handelt sich um eine Familie, deren Tocher an Leukämie erkrankt ist. Es wird ihnen empfohlen ein weiteres Kind zu bekommen, um von diesem Stammzellen zur Behandlung ihrer älteren Tochter zu verwenden. Bei aller Liebe zu ihrer dann geborenen Tochter „missbrauchen“ sie das Kind doch auch als „Ersatzteillager“.
@Jens: Dieser „Missbrauch“ von Kindern ist aber kein erst durch die Technologie der Stammzellen auftretendes „Problem“.
Letztendlich handelt es sich um die verschiedenartige Bewertung von Motiven für einen Kinderwunsch.
Seien es Paaren, die ein Kind bekommen wollen um ihre Ehe zu retten. Sei es der Kinderwusch um einen (Thron)erben zu haben, oder – um deinen Beispiel näher zu kommen – sei er der Wunsch des ersten Kindes nach einem Geschwisterchen, dass als „Missbrauch“ des zweiten Kindes als „Spielzeug“ gedeutet werden kann.
Es soll sogar Gesellschaften geben, die Kinder nur als spätere Einzahler für die Sozialkassen sehen und deren Gesetze zur „Geburtenförderung“ ganz offen mit diesem Ziel begründet werden.
Welche Motive sind die redlicheren?
Die ethische Frage wurde in dem Artikel so gut wie nicht beleuchtet. Es ging eher um die Nützlichkeit aus medizinischer Sicht. Richtig ist aber, dass man schon ganz genau hinterfragen muss, ob man alle Möglichkeiten der Stammzellentherapie will oder nicht. Ich vermute aber, dass es dazu kaum einen Konsens geben wird.