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Kostenlose Stanford Vorlesungen gehen in zweite Runde

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Kategorie Web | 1 Kommentar »

Seit diesem Herbst bietet die amerikanische Eliteuniversität Stanford aus dem Silicon Valley in Kalifornien (genug Hypewörter lieber Leser, um deine Aufmerksamkeit zu erhaschen?) einige ihrer Informatikvorlesungen als kostenlose Onlinekurse an. Da ich selbst den aktuell laufenden Kurs „Maschinelles Lernen“ absolviere, war ich begeistert zu hören, dass es auch im nächsten Semester ab Januar 2012 wieder kostenlose Kurse etwa zu Spieltheorie, Computerlinguistik und agiler Softwareentwicklung geben soll. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Erfahrungsbericht, um dem geneigten Leser die Teilnahme schmackhaft zu machen.

Es ist nicht ganz neu, das Universitäten Videomitschnitte ihrer Vorlesungen kostenlos ins Netz stellen. So bietet zum Beispiel das MIT, eine weitere amerikanische Eliteuni ;-), unter dem Titel Open Course Ware ein Verzeichnis von rund 2.000 Videos. Neben den Videos werden auch manchmal Skripte, Prüfungen samt Lösungen und andere begleitende Materialien zur Verfügung gestellt. Mitschnitte existieren aus fast allen Fakultäten, so dass man sich nicht mit öden Informatikthemen den Abend verderben muss ;-)

Mir persönlich fehlt es aber an Langzeitmotivation, um regelmäßig solche Videos zu schauen und dann das Gezeigte auch nachzuarbeiten, denn ansonsten bleibt bei mir nicht viel hängen. Die seit Herbst verfügbaren Kurse von Stanford sind anders. Es sind keine Mitschnitte von Vorlesungen für Präsenzstudenten, sondern das Kursmaterial wurde speziell für die Onlineversion aufbereitet. Anstatt einer Tafel nutzt Prof. Ng dazu Folien, die er während des Videos handschriftlich erweitert, um alle Details schrittweise zu erklären. Er selbst ist meist nur kurz zu Beginn und Ende eines jeden Videos zu sehen. In die Videos sind meist 1 oder 2 Verständnisfragen eingebettet, die man beantworten muss, bevor das Video weiterläuft. Auch wenn die Antworten nicht offiziell gewertet werden, bleibt man so aufmerksam und fängt nicht während des Videos an, sich mit Internet Junk-Food (Facebook, Emails, Chat & Co.) abzulenken.

Der Kurs hat einen festen wöchentlichen Rhythmus. Jede Woche gibt es eine neue Lektion. Eine Lektion besteht aus:

  • Videos (Vorlesung)
  • Exam
  • praktische Übung

Bis Sonntagabend muss man das Examen beantwortet und die Übungsaufgabe eingereicht haben. Jede Lektion behandelt ein in sich abgeschlossenes Thema wie lineare Regression oder neuronale Netze. Nachdem ich mir die Videos angeschaut habe, beantworte ich meist direkt das Examen. In diesem Multiple Choice Test werden etwa 5 Fragen zum Inhalt der Lektion gestellt. Die Fragen kann man durch den in den Videos vermittelten Inhalt beantworten und man muss keine weiteren Bücher oder Internetquellen nutzen.

Anschließend ist noch die praktische Übung zu absolvieren. Bis jetzt wurde für alle Übungen die freie Software Octave verwendet. Man kann aber auch das kommerzielle Pendant Matlab nutzen. Octave ist eine Software für Matrizenrechnung und die Lösung numerischer Optimierungsprobleme. Jede Übung enthält meist ein paar Beispieldaten, etwa eine Sammlung von 5.000 kleinen Bildern mit handschriftlichen Ziffern. Aufgabe ist es dann mit den in der Woche gelernten Methoden ein kleines Octave Programm zu schreiben, um in den Bildern die richtigen Ziffern zu erkennen. Das hört sich komplizierter an als es ist. Meist reichen für das Lösen einer Übung 20 Zeilen Programmcode, da Infrastrukturteile, wie das Einlesen der Bilder, schon vorgegeben sind. Das Übungsmanuskript leitet durch die einzelnen Lösungsbestandteile und man kann jeden Lösungsteil einzeln durch einen Webservice prüfen lassen. Hat man also zum Beispiel die Kostenfunktion implementiert, schickt man die eigene Lösung an einen Server, der einem sagt, ob die eigene Lösung korrekt ist.

Für das Bearbeiten der wöchentlichen Lektion benötige ich meist zwei Abende, also ca. 4-5 Stunden. Neben Englischkenntnissen und logischem Denkvermögen benötigt man eigentlich kaum weitere Voraussetzungen. Selbst für Octave gab es mehrere sehr ausführliche Videos samt kleiner Übungsaufgaben, die es auch jemanden ohne Programmierkenntnisse ermöglichen, die Software zur Lösung der Übungen zu nutzen. Obwohl die vorgestellten Verfahren zum maschinellen Lernen alle mathematisch fundiert sind, reicht Abiturniveau in Mathe zur erfolgreichen Teilnahme aus. Notwendige Formeln werden vorgegeben und detailliert erläutert. Auf Beweise oder das Herleiten von Formeln wird konsequent verzichtet.

Der Kurs ist damit etwa auf Fachhochschulniveau und richtet sich eindeutig an Praktiker. Ziel ist es nicht Wissenschaftler in der Theorie des maschinellen Lernens auszubilden, sondern jedem die notwendigen Werkzeuge an die Hand zu geben, um selbst maschinelles Lernen in der täglichen Arbeit einzusetzen. Gerade dieser pragmatische Ansatz des Kurses motiviert! Das Examen und die praktische Übung können fast unendlich oft zur Bewertung eingereicht werden. Damit ist klar, dass die vergebenen Punkte nicht das Ziel sind, sondern der Lernweg dorthin. Auch das finde ich sehr gut, denn ich war noch nie ein großer Fan von Lernen für Klausuren, nur damit man schon wenige Tage nach der Klausur wieder alles vergessen hat.

Ich konnte bis jetzt alle Examen und Programmieraufgaben lösen, auch wenn ich gerade bei den Programmieraufgaben zahlreiche Versuche benötigt habe. Habe ich erst einmal die Lösung gefunden, frage ich mich meist, warum ich mich so angestellt habe :-) Auf der Kurswebseite gibt es noch ein Forum, in dem sich Kursteilnehmer untereinander helfen und auch schon mal Tipps zur Lösung geben.

Ich hatte bis jetzt schon sehr viele schöne Aha-Effekte, da ich zwar einige der genutzten Methoden wie numerische Integration in der Theorie kannte, aber nie praktisch eingesetzt habe. Die Mächtigkeit der Methoden ist erstaunlich und ich denke zu erahnen, was damit alles möglich ist. In den Videos zeigt Prof. Ng auch immer wieder praktische Anwendungen von Google Suchtechnologien und Expertensystemen in der Medizintechnik bis zu autonom fahrenden Panzern.

Diesen Herbst wurden neben maschinellem Lernen noch eine Einführung in Datenbanken und ein Kurs zu künstlicher Intelligenz (KI) angeboten. Ich hatte mich für maschinelles Lernen entschieden, da mir der Kurs zu künstlicher Intelligenz zu wenig konkret erschien und wohl mehr einen Einblick in das gesamte Feld geben sollte während maschinelles Lernen ja ein konkretes Verfahren der KI ist. Datenbanken klang langweilig für mich, zumal es scheinbar hauptsächlich um relationale und nicht um NoSQL Datenbanken gehen sollte.

Jetzt im Januar wird die Auswahl schwerer fallen. Aus zeitlichen Gründen kann ich nicht mehr als einen Kurs belegen, aber das Angebot ist sehr verlockend. Geplant sind folgende Kurse:

Vermutlich werde ich mich zwischen Spieltheorie (hat nichts mit Computerspielen zu tun, sondern mit Lösung strategischer Entscheidungsprobleme) und Softwareergonomie entscheiden, aber Computerlinguistik ist natürlich auch sehr verlockend ;-) Ich bin gespannt, ob der geneigte Leser auch an einem der Kurse teilnimmt oder dies bereits tut?!

Ein Kommentar to “Kostenlose Stanford Vorlesungen gehen in zweite Runde”

  1. Sebastian sagt:

    Und kaum habe ich das gepostet, wurden noch zwei weitere Onlinekurse für Januar angekündigt:

    – Lean Launchpad [1], scheinbar eine Art Gründungsseminar
    – Technology Entrepreneurship [2], scheinbar technologiegetriebene Existenzgründungen

    Beide Kurse behandeln natürlich weichere Themen. Es wird interessant sein zu sehen, ob sich die Onlinekurse dafür auch bewähren.

    [1] – http://www.launchpad-class.org/
    [2] – http://www.venture-class.org/

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