H. Buschkowsky – Neukölln ist überall
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Kategorie Berlin | 5 Kommentare »
In den letzten Tagen habe ich mich durch Heinz Buschkowskys Buch „Neukölln ist überall“ gequält. Integrationspolitik ist kein leichtes Thema, dem man sich gern freiwillig stellt.
Buschkowsky ist der Bezirksbürgermeister von Berlin Neukölln. Sein Bezirk hat ca. 300.000 Einwohner. Neukölln ist für seinen hohen Anteil an Zuwanderern bekannt und für seine massiven Probleme, diese zu integrieren. In Neukölln liegt zum Beispiel die Rütli Schule, die vor Jahren Schlagzeilen machte.
„Neukölln ist überall“ ist ein politisches Buch. Der Schreibstil ist teils polemisch. Ich bin kein großer Fan solcher Bücher, aber vermutlich muss man solch ein Thema so angehen, um überhaupt Gehör zu finden. Buschkowsky ist als unbequemer Störer bekannt und viele seiner SPD Genossen würden sicher lieber auf ihn verzichten. Sein Fehler ist, dass er die Probleme beim Namen nennt, was im politischen Betrieb nicht gut ankommt. Man redet lieber über schöne Aussichten. Das ist in der Politik wie beim Wetter.
Buschkowsky beschreibt, wie sich über die Jahre in Neukölln Gebiete entwickelt haben, wo
- kaum noch Menschen ohne Migrationsgeschichte leben,
- die meisten Familien von Hartz IV leben und
- sich Parallelgesellschaften mit eigenen Gesetzen entwickelt haben.
Sein Buch wackelt dabei immer zwischen 3 Aspekten hin und her:
- Nachweis entsprechender Verhältnisse anhand von Statistiken,
- Diskussion der politischen und öffentlichen Ignoranz diese Zustände anzuerkennen und
- Vorschläge zur Lösung der Probleme bzw. Berichte von erfolgreichen Ansätzen.
Auf den Nachweis der Verhältnisse hätte ich verzichten können, da ich sie selber täglich sehe. Ich brauche nur durch Moabit zu fahren, um zu wissen, dass manche Entwicklungen nicht gut sind. Auch der öffentlichen Ignoranz bin ich mir bewusst. Trotz zigfacher Integrationsgipfel und Sonntagsreden hat Deutschland bis heute kein Gesetz für eine gesteuerte Zuwanderung und hat auch kein menschenwürdiges Asylverfahren (ich erinnere nur an die Residenzpflicht).
Punkt 3 ist interessanter, weil es erst mal beruhigend ist, dass es für die Probleme überhaupt Lösungsansätze gibt. Ein wichtiges Mittel ist Geld. Erstaunlicherweise geht es aber weniger darum, mehr Geld auszugeben, als den Empfang von Sozialleistungen wie Hartz IV oder Kindergeld an Pflichten zu binden. So sollte der Katalog von möglichen Strafmaßnahmen um die Kürzung von Sozialleistungen erweitert werden. Dann könnte zum Beispiel ein Richter das Kindergeld kürzen, wenn Eltern ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule schicken.
Ein anderes Mittel ist die frühe Kinderbetreuung in Kindergärten, damit Kinder frühstmöglich Deutsch lernen, selbst wenn zu Hause niemand diese Sprache spricht. Buschkowsky schlägt eine Kindergartenpflicht ab dem 13. Monat vor. Klar, eine Radikalforderung. Sinnvoll wäre sicher, wenn Kinder zumindest ab dem 3. Geburtstag in einen Kindergarten müssten, damit sie beim Schuleintritt dem Unterricht auch folgen können.
Ein weiteres Anliegen ist Buschkowsky die Vernetzung der verschiedenen Behörden und Einrichtungen. Er führt Beispiele aus anderen europäischen Städten an, wo Polizei, Jugendämter, Schulen und Sozialbehörden gemeinsame Akten zu ihren Spezis führen, um einen umfassenden Überblick über die Problemfälle zu haben. Das ist in Deutschland nicht nur wegen dem Datenschutz undenkbar, sondern auch, weil solch eine Überwachung schnell an Blockwart erinnert. Trotzdem ist es sicher richtig, zu überlegen, wie die fragmentierten Zuständigkeiten überwunden werden können.
Mit einem weiteren Punkt könnte Buschkowsky vielleicht sogar in den nächsten Jahren Glück haben. Es geht um ein Umdenken in der bundesdeutschen Familienpolitik. Obwohl jedes Jahr Milliarden in Form von Kindergeld und Freibeträgen in Familien gepumpt werden, will die Geburtenrate einfach nicht steigen. Das Geld verpufft. Nicht nur Buschkowsky, sondern auch immer mehr andere Stimmen fordern daher, diese Geldtransfers zu streichen und das Geld stattdessen in Einrichtungen zu pumpen, die Kindern und Familien direkt nutzen. Beispiele sind kostenlose Schulspeisung, flächendeckendes Netz von Kindergärten, kostenloses Lernmaterial und Bücher, Ganztagsschulen, Ferienbetreuung, Sportvereine, etc. Das Geld würde dann nicht mehr in die Familienkasse wandern und dort versacken. Ich persönlich bin ein großer Fan dieses Ansatzes.
Interessant sind auch seine Forderungen nach mehr Dezentralisierung. So sollten Schulen selbst Lehrer einstellen dürfen und die Konzepte festlegen. Buschkowsky fordert auch, dass Staatsanwaltschaften in den einzelnen Stadtteilen verteilt in kleinen Büros sitzen, damit sie a) sichtbar für ihr Klientel sind und b) dieses aus dem Alltag kennen. Auch das hört sich nach einer sinnvollen Forderung an.
Ich als Nichtpolitiker frage mich immer, warum solche sinnvoll erscheinenden Vorschläge nicht umgesetzt oder zumindest diskutiert werden? Die Einführung der Kürzung von Sozialleistungen als mögliche Strafe erscheint mir als absolut offensichtlich. Auch der Umbau der Familienpolitik ist unausweichlich, weil das derzeitige System definitiv nicht die Leistung erbringt, die man von all dem Geld sich erhofft. Wo sind sie also, die mutigen Integrations- und Sozialpolitiker?!
„Ich als Nichtpolitiker frage mich immer, warum solche sinnvoll erscheinenden Vorschläge nicht umgesetzt oder zumindest diskutiert werden?“
Die Gesellschaft besteht aus mehreren Menschen, die verschiedene Interessen haben, und was im Interesse des einen liegt, kann dem Interesse eines anderen widersprechen.
Deswegen gibt es überhaupt Politik. Gute Politik (nach meinem Verständnis) versucht nun zwischen diesen verschiedenen Interessen zu vermitteln und die Konflikte zu minimieren. Schlechte Politik führt zum (Bürger)krieg.
Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob Politiker wirklich nach Lösungen suchen und nicht eher in Ideologie gefangen sind. Gerade das finde ich bemerkenswert am Buch von Buschkowsky. Seine verschiedenen Punkte reichen von stark links (etwa Ganztagsschulen und kostenlose Kindergärten) bis weit rechts (harte Hand und Abschiebung gegen kriminelle Zuwanderer). Nun könnte man das auch als Populismus bezeichnen, aber vielleicht ist das ja wirklich die Schnittmenge, der man als einfacher Bürger ohne große ideologische Prägung auch zustimmen würde?!
Ich wollte garnichts zu Buschkowskys konkreten Vorschlägen sagen, sondern nur Deine allgemeine Frage auf einer oberen Ebene beantworten.
Es ist eben nicht so, dass etwas, das von einigen Menschen als „gesellschaftliches Problem“ bezeichnet wird, von allen Mitgliedern der Gesellschaft als Problem angesehen wird.
Es gibt auch Menschen, die den selben Sachverhalt garnicht als problematisch betrachten.
Es geht also nicht nur um das Ringen um Lösungen zu Problemen, die wir alle sehen, sondern schon um die Feststellung, ob etwas ein Problem ist.
Was Dir als sinnvoll erscheint, erscheint jemand anderen als sinnlos.
Damit wollte ich Deine Frage beantworten, „warum solche sinnvoll erscheinenden Vorschläge nicht umgesetzt“ werden.
Mein nüchternes, aber dadurch positives Bild von guter (ein Ideal!) Politik ist nicht, dass Politik das Paradie auf Erden schafft, sondern dass sie verhindert, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Ja, vermutlich ist es schon das, was mich auf die Palme bringt: Das man offensichtliche Probleme wie die fehlgeschlagene Integration nicht als solches anerkennt und gemeinsam nach einer Lösung sucht.
Hallo,
also ich lebe sehr gerne (und auch sehr gut) in Moabit :)
Ich kenne meine Nachbarn, wir treffen uns regelmäßig, die Leute kümmern sich um einander und sind integrativ.
Ich habe schon an schlechteren Orten gewohnt.
Grüße,
Steffen