Effiziente Lerntechniken
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Ich bin auf ein interessantes Paper gestoßen: „Improving Students’ Learning With Effective Learning Techniques: Promising Directions From Cognitive and Educational Psychology“ von Dunlosky et al. Die Autoren haben anhand von Studien der letzten 100 Jahre herausgearbeitet, welche Lerntechniken besonders effizient sind. Da es ein sehr sehr sehr langer Artikel ist, hier eine Zusammenfassung für den interessierten Leser.
Der Artikel ist eigentlich eine Monografie und erstreckt sich über viele Seiten. Basis ist ein systematische Übersichtsarbeit (engl. systematic literature review) von Studien, die die Effizienz verschiedener Lerntechniken untersucht haben.
Der Artikel ist deshalb interessant, weil Schüler, Lehrer und Lebenslanglernende sich oft gar nicht bewusst sind, wie man die begrenzte Zeit (und Motivation) zum Lernen am effizientesten einsetzt. In den nächsten Abschnitten stelle ich die untersuchten Lernmethoden und das Fazit der Autoren vor.
Im Artikel ist das natürlich viel ausführlicher. Die Autoren untersuchen zum Beispiel, ob eine Lernmethode allgemein anwendbar ist oder ob sie z.B. nur für Studenten und nicht für Grundschüler geeignet ist. Auch eignen sich nicht alle Lernmethoden für jede Art von Stoff.
Ich verwende für die Lernmethoden meine eigenen deutschen Begriffe, damit der Beitrag hoffentlich verständlicher ist. Die Autoren stufen Lerntechniken anhand der existierenden Studien grob in 3 Kategorien ein:
- ineffizient
- mittelmäßig
- hocheffizient
Eigene Erklärungen finden (engl. elaborative interrogation)
Beschreibung: Bei dieser Lernmethode nimmt man einen Fakt, den man lernen möchte und versucht anschließend eine Erklärung für die Richtigkeit zu finden. Man stellt und beantwortet das warum.
Beispiel: Der Untergang des römischen Kaiserreichs wurde durch die Völkerwanderung ausgelöst. Warum? Weil es zu einer massiven Wanderung von Menschen kam, die sich nicht zurückdrängen ließen und die das soziale Gefüge änderten.
Effizienz: Ich habe kurz nach einem Beispiel überlegen müssen. Problem mit der Technik ist, dass sie sich gut bei Faktenwissen eignet, aber bei komplexeren Sachverhalten schwerer anwendbar ist. Die Technik lässt sich gut beim gegenseitigen Lernen einsetzen, etwa wenn der Lehrer den Schüler nicht nur nach dem Fakt fragt, sondern diesen auch begründen lässt. Die Autoren stufen die Effizienz als mittelmäßig ein.
Selbsterklärung (engl. self-explanation)
Beschreibung: Bei dieser Lernmethode nennt nicht nur das Ergebnis, sondern artikuliert auch seine Gedanken, wie er zu dem Ergebnis kommt.
Beispiel: Klassisches Beispiel ist das Aufschreiben des Rechenwegs und nicht bloß die Nennung des Ergebnis. Das Durchspielen möglicher Lösungen kann man in Quiz-Shows gut beobachten, wenn Kandidaten mögliche Antworten ausschließen und sich am Ende für eine entscheiden.
Effizienz: Die Autoren beurteilen die Effizienz der Selbsterklärung als mittelmäßig. Sie ist relativ zeitaufwendig, lässt sich aber von allen Altersgruppen und in unterschiedlichen Lernstoffen gut anwenden.
Zusammenfassen (engl. Summarization)
Beschreibung: Nachdem man einen Lehrbuchtext gelesen oder eine Vorlesung gehört hat, fasst man das Gelernte selbst (schriftlich) zusammen.
Beispiel: In diesem Blogbeitrag fasse ich den Inhalt der Studie zusammen. Ich mache das allerdings weniger um es mir zu merken, sondern damit ich später nachschauen kann, falls ich es nochmal brauche.
Effizienz: Überraschenderweise ist diese Lernmethode aus wissenschaftlicher Sicht ineffizient. Das Schreiben von Zusammenfassung muss geübt sein und lässt sich auch nicht auf jeden Lernstoff sinnvoll anwenden. Laut den Autoren zeigen Studien, dass Zusammenfassung nicht unbedingt zur Verankerung des Stoffs im Langzeitgedächtnis beitragen.
Hervorheben und Unterstreichen (engl. highlighting and underlining)
Beschreibung: Man unterstreicht beim Lesen eines Lehrbuchs oder Romans die wichtigsten Textstellen oder hebt sie anderweitig hervor.
Effizienz: Das Unterstreichen als Lerntechnik ist zwar sehr populär, aber höchstgradig ineffizient. Nur, weil man was in einem Text unterstreicht, heißt noch lange nicht, dass man sich dadurch auch irgendwas merkt.
Eselsbrücken (engl. keyword mnemonic)
Beschreibung: Um einen Fakt zu lernen, sucht man sich einen bereits bekannten ähnlichen Fakt und versucht dann eine Geschichte zu finden, was der neue Fakt mit dem ähnlichen Fakt zu tun haben könnte.
Beispiel: Es gibt einige sehr bekannte Eselsbrücken bzw. Merksätze, um zum Beispiel die Reihenfolge der Planeten oder Notennamen im Notensystem auswendig zu lernen.
Effizienz: Die Autoren beurteilen diese Lernmethode als höchstgradig ineffizient und empfehlen nicht deren Verwendung.
Visualisieren (engl. imagery use for text learning)
Beschreibung: Der geneigte Leser stelle sich den Blogautor vor, wie er gerade an der Tastatur sitzt und diesen Artikel tippt. Genau das ist die Lernmethode – sich den Lernstoff im Kopf visualisieren.
Beispiel: Statt ein Lehrbuch nur nach Fakten abzusuchen, versucht man sich den Lernstoff vorzustellen. So könnte man sich etwa im Kopf ausmalen, wie Urzeitmenschen gelebt haben, was für Kleidung sie getragen haben, etc.
Effizienz: Auch diese Lernmethode beurteilen die Autoren anhand der Studienlage als ineffizient. Nicht jeder Stoff lässt sich gut visualisieren (etwa Ableitungsregeln) und nicht jeder Lernende ist kreativ genug, um sich entsprechende Bilder auszumalen.
Nochmaliges Lesen (engl. rereading)
Beschreibung: Man liest den Lehrbuchtext nochmal.
Effizienz: Das mehrfache Lesen eines Lehrtexts hat einen positiven Effekt, aber dieser ist nicht sehr groß im Vergleich zu anderen Lerntechniken. Deshalb stufen die Autoren diese Lerntechniken als ineffizient ein.
Übungsaufgaben (engl. practice testing)
Beschreibung: Nachdem man sich einen Überblick über den Stoff verschafft hat, beantwortet man Übungsfragen oder eine Testklausur.
Beispiel: Die Autoren verwenden hier eine sehr breite Beschreibung für diese Kategorie. Als Übungsaufgaben zählen etwa Verständnisfragen, die man manchmal am Kapitelende eines Lehrbuchs findet. Auch das Selbstabfragen von Vokabeln mit zum Beispiel einem Vokabeltrainer oder mit Karteien fällt in diese Kategorie. Weiterhin kann der Lehrer eine Übungsklausur rausgeben oder Studenten suchen die Fragen der letzten Jahre zusammen.
Effizienz: Die Autoren beurteilen diese Lernmethode als hocheffizient. Ich kann dem nur aus eigener Erfahrung zustimmen. Nichts geht über Anwendung von theoretisch Gelerntem. Man kann noch so viele Bücher lesen, erst die Anwendung macht den Meister.
Lerneinheiten verteilen (engl. distributed practice)
Beschreibung: Dies ist eher eine Metamethode. Die Frage ist, ob es besser ist am Stück zu lernen oder das Lernen zeitlich über mehrere Blöcke zu verteilen.
Beispiel: Gerade im Studium war es üblich, erst 2 Tage vor der Semesterklausur mit dem Lernen zu beginnen und den Stoff dann durchzuprügeln.
Effizienz: Es ist hocheffizient, das Lernen über mehrere Blöcke zu verteilen. Ich denke, das ist wenig überraschend. Lernt man in mehreren Runden, hat das Gehirn Zeit das Gelernte zu verarbeiten.
Lernstoff mischen (engl. intereleaved practice)
Beschreibung: Hier geht es darum, den gesamten Stoff für ein Fach gleichzeitig zu lernen und nicht jeden Teil einzeln.
Beispiel: Oft sucht man sich beim Lernen Kapitel oder Abschnitte des Lernstoffs raus und nimmt sich dann solch ein Kapitel als Lernziel vor.
Effizienz: Tatsächlich ist es etwas effizienter, wenn man mehrere Teilabschnitte gleichzeitig lernt und wiederholt. Die Autoren stufen diese Lernmethode als mittelmäßig ein.
Zusammenfassung
Da man bei Lernen nicht unendlich viel Zeit hat, sollte man die effizientesten Lernmethoden nutzen. Das sind laut der Studie:
- Übungsaufgaben
- Lerneinheiten zeitlich verteilen
Unterstützend kann man auch verwenden:
- eigene Erklärungen finden (warum?)
- Selbsterklärung (Rechenweg)
- Lernstoff mischen
Die anderen Lernmethoden sind ineffizient und man kann sich deshalb die Zeit sparen. So, hoffentlich wieder was gelernt heute :-)
Laufen Loci-Methode, Gedächtnispalast und Major-System dann auch unter Eselsbrücken?
Nein, die würde man sicher unterschiedlich zuordnen, auch wenn ich diese Methoden nicht im Einzeln kenne. Der Gedächtnispalast hört sich für mich eher nach der Methode Visualisieren an.
Grundsätzlich glaube ich, dass verschiedenste Menschen verschiedenste Lerntypen sind
und für die jeweiligen Methoden unterschiedliche persönliche Effizienzen besitzen.
Dabei spielt zum Beispiel auch eine rechts-, links-, oder beidhändigkeit hinein, da jeweils
immer andere Hirnregionen bevorzugt stimuliert werden.
Ich persönlich fand viel Methotik aus unserer Schulzeit dumm und ineffektiv. Mein größter
Trigger war stets Interesse für ein Thema. Wurde dies geweckt, musste ich aus Eigenantrieb
heraus immer mehr darüber wissen. Bei Desinteresse gab es eine persönliche Firewall.
Aber dies ist wie gesagt nur meine Lernmethotik, die mich zu keiner Professur geführt hat,
nur zu einem an vielerlei Themen interessierten Weltenbürger.
@ Matin: Das heißt Loki-Methode… kleiner Marvel-Witz
Ich denke auch, wie Marcus, dass man das nicht so pauschal sagen kann, wie diese Studie das – Steinchens Ausführen nach – macht.
Ich finde, dass man noch nach Subjekt und Thema differenzieren sollte. Evtl. kommt man zu dem Ergebnis, dass das keinen Untetrschied macht. Vielleicht aber doch.
Ich vermute, dass je nach Themen, die verschiedenen Lerntechniken unterschiedliche Effizienzen haben. Ich denke, dass Vokabeln anders gelernt werden als kausale Zusammenhänge, oder Reihenfolgende, oder Orte auf einer Karte.
Und dann vermute ich, dass für Person A die Lerntechnik 1 bei Thema X besser funktioniert als für Person B.
Wenn ich gerade so in Fahrt bin, würde ich mir so eine „perfekte Schule“ vorstellen:
Es gibt einen Werkzeugkasten an Lerntechniken.
Dann gibt es verschiedene Themenklassen.
Und für jeden Schüler finden wir am Anfang bzw. im Laufe seiner Schullaufbahn – gezielt! – heraus, welche Lerntechnik für ihn bei welcher Themenklasse am besten passt.
Und da mache ich als Informatiker natürlich gleich weiter :-)
Angenommen es gäbe vier Themenklassen (A, B, C, D) und sieben Lerntechniken (1..7), dann kann jeder Mensch am Ende seiner Schulzeit von sich z.B. sagen:
„Ich bin ein A3B1C1D5-Lerntyp“ – „Und ich bin ein A1B7C3D1-Lerntyp.“
Evtl. stellen wir so dann auch entsprechende Kurse zusammen:
„In diesen Kurs gehe alle, die Mathe mit Lerntechnik 3 lernen; und dort drüben die, die Mathe am besten mit Lerntechnik 1 lernen können. Und diejenigen, die Deutsch am besten mit Lerntechnik 7 lernen, gehen nachher…“
Das muss dabei nicht einmal einen höheren Personalaufwand bedeuten. Diejenigen, die ein bestimmtes Thema am besten im Selbsstudium lernen ,kommen dabei prima mit einen Tablet zurecht. Diejenigen, die dadurch lernen, dass sie es anderen erklären, gehen mit denjenigen zusammen, die es am besten lernen, wenn es ihnen jemand (interaktiv) erklärt. Usw.
Mensch, die Möglichkeiten! So ich orientiere mich jetzt mal um und gehe in die Bildungsforschung und kremple das System bis nächstes Jahr komplett um (*** hier jetzt alle in schallendes Gelächter ausbrechen ***).
Was du beschreibst, gibt es schon. Es ist der Ansatz vieler freier Schulen. Typische Ansätze nennen sich dann Montesori und so.
Ich hoffe aber nicht, dass es so viele verschiedene Lernmethoden gibt. Sonst braucht man sein ganzes Leben, um zu erkunden, was gut ist. Auch bei der Vermittlung von Lerntechniken sollte man das Rad nicht immer wieder neu erfinden.
Tatsächlich ist es sogar extrem schwer, für dich selbst zu bestimmen, was gut funktioniert, da du keinen systematischen Vergleich hast. Ich kenne einige Leute, die z.B. auf Unterstreichen schwören, auch wenn sich zeigen lässt, dass dies keine sehr effiziente Lerntechnik ist.
Natürlich ist ein auf den Einzelnen optimiertes System immer überlegen, wenn man über entsprechende Ressourcen verfügt. Tatsächlich haben wir aber diese Ressourcen nicht und deshalb ist es dann besser, lieber die effektivsten Lerntechniken für die Masse zu lehren. Damit kann man zwar nicht individuelle hundertprozentige Effizienz erreichen, aber in der Gesamtgruppe die Effizienz steigern.
Sehr interessant, mich überrascht es dass die Methode „verteilten Wiederholung“ (engl. spaced Repetition) nicht dabei ist. Studien zur Gedächtnisforschung stufen es als sehr effizient ein. Z.B. Sprachen lernen, Fakten einprägen etc..