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Georgien

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Kategorie Rest | 13 Kommentare »

Und wieder mal off-topic, also Vorsicht! Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist extrem erstaunlich, da sicher niemand mehr mit einem Konflikt zwischen Großmächten gerechnet hatte. Zu sehr hatten wir uns schon an die terroristische Bedrohung gewöhnt. Inzwischen rätselt Deutschland, wie man auf den Einmarsch und die Besetzung von Teilen Georgiens durch die Russen reagieren soll. Ich habe ein paar Vorschläge, die vielleicht nicht mehrheitsfähig sind, aber zumindest eine klare Antwort wären…

Als ich vor ein paar Jahren in Schweden studiert habe, wohnte auch ein Georgier mit in meinem Wohnheim. Wir verstanden uns gut und hatten auch manch interessante Diskussion über Georgien und den schon damals existierenden Konflikt mit Russland. Vielleicht bin ich deshalb etwas subjektiv in dieser ganzen Angelegenheit…

Man muss diesen Konflikt mal auf Deutschland übertragen, um zu erkennen, wie absurd das alles ist. Das Saarland war mehrmals auch ein Teil Frankreichs. Auch nach dem 2. Weltkrieg stand es zunächst unter französischer Verwaltung und erst nach einem Volksentscheid 1957 trat es der Bundesrepublik wieder bei. Wie wäre es jetzt aber, wenn Frankreich all die Zeit versucht hätte, das Saarland zu destabilisieren? Man hätte ja z.B. den Saarländern eine doppelte Staatsbürgerschaft anbieten können, vielleicht verknüpft mit Steuervorteilen. Dadurch hätten sich bestimmt einige Bevölkerungsteile ermutigt gefühlt, die Unabhängigkeit anzustreben. Man hätte die Polizei im Saarland verstärkt, vielleicht auch Verfassungsschutz. Irgendwann wären vielleicht Unruhen ausgebrochen. Da die Polizei die staatliche Ordnung nicht mehr herstellen kann, hätte man vielleicht die Bundeswehr entsendet (auch wenn das nach dem Grundgesetz nicht geht). In dem Moment greift Frankreich militärisch ein und bringt das Saarland unter seine Kontrolle, um seine Staatsbürger zu schützen. Die BRD hat natürlich keine Chance, weil Frankreich eine Atommacht ist. Was sollte man tun, wenn diese Situation eingetroffen ist? Sich ärgern und das Saarland abschreiben? Gut, Bundespolitiker wären vielleicht zu diesem Schritt bereit, weil sie dann Lafontaine los wären :-)

Georgien allein ist gegen Russland hilflos. Es gibt aber letztendlich ja noch den „Westen“, der hier eindeutig Stellung beziehen kann. Und dies im eigenen Interesse, denn schließlich wollen wir wegen warmer Wohnungen ja nicht vom Wohlwollen Russlands abhängig sein. So blöd es klingt, aber wir haben ein ganz banales Interesse daran, dass der Transport von Öl und Gas durch Länder stattfindet, die wir als Westen kontrollieren. Nicht schön, aber das ist die Realität. Deshalb, folgende Punkte sollten jetzt sofort umgesetzt werden:

  • kurzfristige Aufnahme Georgiens in die NATO und Stationierung von Truppen in Georgien
  • kurzfristige Aufnahme der baltischen Staaten (Litauen, Estland, Lettland) in die NATO und Stationierung von Truppen
  • Aufnahme oder zumindest Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine

Damit hätte man Fakten geschaffen, so wie es Russland in den letzten 3 Wochen getan hat. Diese Fakten kann man als Verhandlungsmasse nutzen, um die besetzten Gebiete wieder unter Kontrolle zu bekommen. Langfristig muss das Ziel aber sein, dass der Westen unabhängig von Gas und Öl wird. Dafür gibt es drei Möglichkeiten, wobei ich eigentlich nur die erste Möglichkeit unterstütze:

  1. Nutzung alternativer Engergiequellen
  2. Ausbau der Atomkraft
  3. Militärische Kontrolle über Gebiete mit Öl/Gas

Meiner ganz bescheidenen Meinung nach ist es extrem wichtig, jetzt zu handeln. Es gab schon mehrmals in der Geschichte ähnliche Situationen. So hat auch Deutschland in den 30er Jahren viele Gebiete sich einverleibt, ohne entsprechende harte Reaktion anderer Staaten. Man hatte gehofft, dass der Hunger nach Land und Macht irgendwann gestillt ist. War er aber nicht und es kam dann zu einer viel schlimmeren Katastrophe. Solch eine Katastrophe muss verhindert werden! Oder hat jemand bessere Vorschläge???

13 Kommentare to “Georgien”

  1. Wieso stehen die Rechte der Staaten über denen der Menschen? Wieso lässt man nicht die Menschen entscheiden?

    Mein Vorschlag: Volksabstimmung durchführen und als Wahlmöglichkeiten anbieten, ob man lieber zu Georgien gehören möchte, zu Russland oder einen eigenen Staat bilden will.

    Aber wir wissen ja (siehe Irland), dass das Volk nur gefragt werden darf, wenn es auch die „richtige“ Entscheidung trifft.

    Es bleibt dabei: Politik ist keine lösung, Politik ist das Problem.

  2. Sebastian sagt:

    Ich provoziere mal weiter: Die Grundannahme, dass es hier um die Interessen der Menschen dort vor Ort geht, ist falsch. Es geht darum unsere Interessen (Zugang zu Öl/Gas) durchzusetzen.

  3. Das ist keine Provokation. Da stimme ich dir ja zu: Politik hat (so gut wie) nie das Wohl der Menschen im Blick.

  4. Es ist – um dies etwas weiter auszuführen – so wie Roland Baader schreibt: „Wirtschaft verbindet, Politik trennt.“ (Das Kapital am Pranger, S. 125)

    Der „Kapitalist“ kommt freidlich mit einem Kaufangebot. Man einigt sich (oder auch nicht) und die Ressourcen werden ihrer bestmöglichsten Verwendung zugeführt.

    Die Politk (und das mit ihr verwobene „big business“) kennt nur die Gewalt, bei der Menschen getötet und Wohlstand vernichtet wird. Neverending story.

  5. Sebastian sagt:

    Ist Politik aber nicht auch bloß Wirtschaft, nur mit etwas kräftigeren Mitteln? Kann ich z.B. gegen ein Konkurrenten nicht bestehen, weil ich die schlechteren Produkte habe, dann werbe ich seine Leute ab, verklage ihn wegen irgendwelchen Patenten oder erwirke Zollschranken durch Lobbying.

  6. (Sorry, ist wieder etwas länger geworden.)

    Nun, die Differenzierung ist tatsächlich komplizierter und das oben geäußerte Zitat ist natürlich polemisierend und verkürzt, will es doch markant eine Position klarstellen.

    Dennoch ist es gut für die Eröffnung einer – und das ist der entscheidende Punkt – ethischen Betrachtung geeignet.

    Die Anhänger der oben genannten These (nimm mich vorerst einmal direkt als einen Vertreter) identifizieren zwei sich widersprechende Grundmoralvorstellungen:

    1. „Es ist vertretbar zur Erreichung meiner Ziele anderen Menschen physische Gewalt anzutun (oder anzudrohen).“

    2. „Es ist nicht vertretbar zur Erreichung meiner Ziele anderen Menschen physische Gewalt anzutun (oder anzudrohen).“

    Das erste Prinzip wird nun nach Franz Oppenheimer als „politisch“, das zweite als „ökonomisch“ bezeichnet [1].

    D.h. die Handlungen eines Menschen entscheiden darüber, ob er „politisch“ oder „ökonomisch“ handelt und nicht seine formale Stellung in der Gesellschaft.

    Bezogen auf dein Beispiel bedeutet das: Wenn der Unternehmer die Mitarbeiter seiner Konkurenten durch ein besseres Angebot (also friedlich) abwirbt (oder genau dies auch bei den Kunden tut) handelt er ökonomisch.
    Wendet er sich jedoch an den Staat (denn nur durch diesen können Patente und Zollschranken realistisch durchgesetzt werden) handelt er politisch, da der Staat die genannten Gesetze mittels Gewalt durchsetzt.

    Oder, um ein etwas alltäglicheres Beispiel zu nehmen: Als ich eben zu Mittag in das Einkaufzentrum gegangen bin und dem Verkäufer am Stand mein Geld in die Hand gedrückt habe und dieser mir im Gegenzug dafür meine Mahlzeit gab, haben wir wirtschaftlich gehandelt: Wir sind friedlich zusammengekommen, haben uns geeinigt, zusammengearbeitet, getauscht und somit beide gewonnen („Wirtschaft verbindet“)

    Hätte ich hingegen über den Tresen gelangt und mich selbst bedient, ohne Absicht zu bezahlen und hätte ich die Schutzversuche des Verkäufers mit entsprechender Gewalt beantwortet, dann hat dies nichts sehr verbindendes an sich („Politik trennt“)


    [1] „One of the most lucid analyses of the distinction between State and market was set forth by Franz Oppenheimer. He pointed out that there are fundamentally two ways of satisfying a person’s wants: (1) by production and voluntary exchange with others on the market and (2) by violent expropriation of the wealth of others.“ „The first method Oppenheimer termed ‚the economic means‘ for the satisfaction of wants; the second method, ‚the political means.‘ The State is trenchantly defined as the ‚organization of the political means.'“
    Rotbard, „Power and Market“

  7. Korrektur: Das Zitat stammt natürlich von Rothbard

  8. Marco sagt:

    Die Grenzziehung zwischen von Georgien geht auf Stalin zurück. Ossietien war früher kein Teil Georgiens. Südossietien hat schon seit geraumer Zeit die eigene Unabhängigkeit erklärt. Diese wurde allerdings von keinem Staat anerkannt. Der Westen hat es nicht getan, weil er sich davon Vorteile versprach. Russland hat es nicht getan, weil Russland damals schwach war und meist mit sich selbst beschäftigt. Aus der Sicht Russlands kommt die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens einer Korrektur früherer Fehler gleich.

  9. Sebastian sagt:

    @Marco: Leider kann man aus meiner Sicht nicht danach gehen, was in der Vergangenheit war. Denn wo willst du stoppen? Reicht es, die letzten 50 Jahre zu berücksichtigen? Oder müssen wir schon die letzten 500 Jahre Geschichte betrachten? Fakt ist, dass Georgien samt der Teilgebiete ein international anerkannter Staat ist. Ob es vielleicht ungerecht war, den Staat so aufzuteilen, mag sein. Teile eines souveränen Staates zu besetzen, finde ich aber noch ungerechter, da es neues Leid aufwirft. Man kann die Fehler der Vergangenheit nicht korrigieren, aber man kann zumindest versuchen, nicht neues Leid hinzuzufügen.

  10. Sebastian sagt:

    @Martin: Sind wir uns zumindest einig, dass sowohl Russland als auch der Westen politisch handeln? Kann es überhaupt sein, dass Menschen auf internationaler Ebene ökonomisch handeln?

  11. Micha sagt:

    Wenn ich für eine Ware bezahle, anstatt sie mir einfach zu nehmen, dann ja doch nur, weil ich sonst Strafen zu fürchten habe, die so hoch sind, dass der Diebstahl sich nicht lohnt.
    Die Ökonomie funktioniert also nur, wenn es sich lohnt, sich an die Regeln zu halten und dafür müssen künstlich Bestrafungen für Verstöße eingeführt werden.

    (Klar, wir wägen das nicht jedes mal ab, wenn wir einen Einkauf machen. Aber auch nur, weil wir gelernt haben, dass man nicht klaut.)

    Skaliert man das ganze auf die Ebene von Atommächten, ist die Bestrafung sehr diffus. Im günstigsten Fall kommt der Botschafter des anderen Landes und beschwert sich (oje!), in schlimmen Fällen drohen mehr oder minder starke Sanktionen – vorausgesetzt die anderen Mächte können sich einigen.

    Selbst bei Sanktionen kann es für den Übeltäter günstiger sein, diese zu Schultern, weil der Eingriff in das Weltgefüge an anderer Stelle entsprechend mehr Gewinn verspricht. (Ob das dann auch immer so kommt, wie man sich das ausrechnet, ist eine andere Frage.)

    Im konkreten Fall könnte man überlegen, ob nicht der Preis russischen Gases durch die neue Pipeline gesunken wäre, so dass der jetzige Ärger lukrativer erscheint. Dann wäre der Krieg auch durch Gewinnstreben zu erklären, ohne Machtmotive zu bemühen.

  12. @Steinchen: Ich bin ganz auf deiner Seite bei der Aussage, dass sowohl die russischen Politiker, als auch die georgischen, als auch die Separatisten und die westlichen Politiker, sowie letztlich jede politische Institution (inkl. des Staates selbst) immer politisch handeln.

    Dafür, dass Mensche (international) sehrwohl ökonomisch (also friedlich) miteinander handeln können, bist du ja mit ein Beispiel: Du reist zu Freunden, Studien, Vorträgen, Konfernzen und was weiss ich nicht noch quer durch die Welt und Kulturen und musstest dafür – hoffe ich zumindest :-) – bisher noch keine Gewalt anwenden oder mit dieser drohen bzw. haben anderen Menschen dir gegenüber sich entsprechend zurückgehalten.

    Ansonsten sind auch folgende Stichworte, wo sie nicht mit „Big Government“ zusammenmauscheln, ein Beispiel für internationales ökonomisches Handeln:
    McDonals, Coca-Cola, IBM, Microsoft, Apple, „Open-Source“, Ford, Nintendo, und viele weiter bis runter zum Ein-Mann-Unternehmen.

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