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Überraschend unerwartet

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Neulich steckte mir ein Verwandter das Buch „Ein amerikanischer Traum: Die Geschichte meiner Familie“ von Barack Obama zu. Ich hatte mich bisher um das Buch gedrückt, weil ich eigentlich nicht viel Substanz erwartet habe. Nach der Lektüre bin ich aber überrascht, denn das Buch war ganz anders, als ich es erwartet habe.

Barack Obama ist ein Popstar. Bis jetzt habe ich mich meist um Biographien von Popstars gedrückt, denn nur weil jemand angesagte Musik macht, muss er nicht gleichzeitig ein Philosoph mit geistreichen Lebenserkenntnissen sein. Deshalb hatte ich von der Autobiographie des aktuellen US Präsidenten auch nicht viel erwartet außer ein paar Kindheitserinnerungen, gepaart mit den obligatorischen Enthüllungen von Jugendsünden und der Beschreibung des steten Aufstiegs.

Soviel zu meinen Vorurteilen. Die erste Auflage des Buchs erschien bereits 1995. Zu dieser Zeit war noch nicht daran zu denken, dass Barack Obama einmal US Präsident ist. Eine überarbeitete Auflage folgte 2004, nachdem er bereits zum Senator von Illinois gewählt war. Die deutsche Übersetzung kam erst 2008 heraus, wahrscheinlich wegen seiner plötzlichen Popularität.

Der Originaltitel des Buches ist „Dreams from My Father: A Story of Race and Inheritance„. Die deutsche Übersetzung hingegen spricht werbewirksam von „Barack Obama – Ein amerikanischer Traum: Die Geschichte meiner Familie“ und geht vollständig am Inhalt vorbei.

Tatsächlich handelt das Buch nicht von einem „amerikanischem Traum“, sondern, überspitzt, von einem „amerikanischen Albtraum“. Es geht um die Identität von Schwarzen in den USA, deren Unterdrückung und deren Selbstfindung. Barack Obama hat das Buch geschrieben, nachdem er der erste Präsident mit afrikanischer Abstammung der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Harvard Law Review war. Das Buch beschäftigt sich mit seinem Versuch seine Identität als Schwarzer zu definieren. Obama beschreibt sein Leben beginnend mit seinen ersten Jahren auf Hawaii und in Indonesien. Anschließend skizziert er seine Studienjahre in Los Angeles und New York (Manhattan), bevor ein längerer Abschnitt auf seine soziale Arbeit in einem Vorort von Chicago eingeht. Ein weiterer und abschließender Teil beschreibt seine Reise nach Kenia, zum Geburtsort seines Vaters.

Auf der Suche nach einer Identität als Amerikaner mit afrikanischer Abstammung entdeckt er mehrere mögliche Quellen. Er könnte sich in der schwarzen Community (Klischee Gangster, Homie & Co.) einrichten, so, wie es viele seiner Freunde tun. Er könnte auch die Identität der Weißen in den USA übernehmen. Andererseits könnten seine afrikanischen Wurzeln und die damit verbundenen Traditionen von Großfamilien eine Quelle sein. Am Ende kommt er zum Schluss, dass er seine eigene Identität finden muss und sich nicht eines der Klischees bedienen will. Er weiß, dass er als Schwarzer immer noch Nachteile im täglichen Leben hat, aber dass es auch keinen Grund gibt, diese Missstände zu nutzen, um ein ambitionsloses Leben zu rechtfertigen. Beim Lesen habe ich das Gefühl, dass er 1995, als er das Buch schrieb, noch nicht am Ende seiner Suche war.

Für einen deutschen Leser ist das Buch zunächst uninteressant, denn wir selbst haben dieses Identitätsproblem nicht. Ich glaube nicht, dass sich ein deutscher Jugendlicher mit Migrationshintergrund (das Wort wollte ich schon immer mal schreiben) in den Beschreibungen wiederfinden wird. Andererseits ist das Buch für einen deutschen Leser interessant, denn es zeigt, dass die USA von einem welterfahrenen promovierten Menschen geführt werden, der selbst jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit „einfachen“ Menschen und deren täglichen sozialen Sorgen hat, und der kein Abkömmling einer wohlhabenden Industriefamilie ist. Diese Kombination dürfte man bei den wenigsten Politikern finden und vielleicht ist dies ein Grund, warum er ein Popstar ist.

Das Buch liest sich schwer. Ich vermute, die meisten Leser werden nach dem ersten Drittel aufgeben. Vieles von dem, was Barack Obama beschreibt, ist uns fremd. Seine Aufgabenbeschreibung als „Sozialarbeiter“ kann ich nicht genau verstehen, seine Identitätssuche nicht nachvollziehen. Trotzdem kann ich das Buch genau dann empfehlen, wenn man eben nicht auf der Suche nach dem „amerikanischen Traum“ nach Hollywood Machart ist, sondern den Menschen Barack Obama kennenlernen möchte.

2 Kommentare to “Überraschend unerwartet”

  1. „nach Kenia, zum Geburtsort seines Vaters.“

    Heißt das, dass Obamas Vorfahren nicht, wie wohl die meisten amerikanischen Schwarzen, als Sklaven nach Amerika kamen?

    Unterscheidet sich seine Identitätsfindung als Schwarzer in Amerika u.U. auch dadurch von der der anderen Schwarzen?

    Oder hat er diesen Punkt in seinem Buch nicht angesprochen?

  2. Sebastian sagt:

    Diesen Punkt hat er eigentlich nicht thematisiert. Seine Zerissenheit könnte eher daher kommen, dass er ja eine „weiße“ Mutter hat, aber einen „schwarzen“ Vater und somit ein „Mischling“ ist. Damit hat er sozusagen ein Bein in beiden Welten, was die ganze Sache nicht einfacher machen dürfte.

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